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Langzeitprojekt belegt: Religiöse Stile wandeln sich im Erwachsenenalter (Nr. 114/201)

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Internationaler Verbund erhält neue Förderung in Höhe von 1,2 Millionen Euro

Die religiös-weltanschauliche Entwicklung steht im Mittelpunkt eines internationalen Langzeitprojekts der Universität Bielefeld und der University of Tennessee at Chattanooga, USA. Die Forschenden unterscheiden vier Stile, die anzeigen, wie Glaube, Spiritualität und Weltanschauung das eigene Leben prägen. In einer neuen Längsschnittstudie weisen die Wissenschaftler*innen erstmals nach, dass und wie sich diese Stile über die Lebensspanne von Erwachsenen tatsächlich wandeln. Sie ermittelten zudem Faktoren, mit denen sich diese Entwicklung vorhersagen lässt. Jetzt wurde bekanntgegeben, dass der Forschungsverbund ab Januar 2022 weiter gefördert wird, und zwar mit 1,2 Millionen Euro. 

Bild der Person: Prof. Dr. Heinz Streib
Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie / Abteilung Theologie / Sekretariat Abteilung Theologie, Praktische Theologie/Religionspädagogik
Forschungsstelle interdisziplinäre Religionsforschung / Biographische Religionsforschung
Prof. Dr. Heinz Streib von der Abteilung für Theologie der Universität Bielefeld leitet das deutsche Teilprojekt der Forschungskooperation zu religiöser Entwicklung. Foto: Universität Bielefeld Foto: Foto: Universität Bielefeld
Das internationale Projekt wird seit 2002 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Seit 2014 engagiert sich die John Templeton Foundation (USA) als weitere Drittmittelgeberin. Beide Drittmittelgeberinnen haben jetzt die gemeinsame Finanzierung einer weiteren Projektphase von 2022 bis 2024 bewilligt. 

Mit ihren Studien können die Forschenden des Projekts dokumentieren, dass Menschen im Laufe ihres Lebens ihre religiösen Ansichten und ihre Weltanschauung wechseln. Mit ihren Erhebungen schaffen sie eine umfassende Datenbasis, um zu analysieren, wie sich Glaube entwickelt. „Die Forschung zu religiös-weltanschaulichen Stilen orientierte sich bisher eher an theoretischen und teilweise spekulativen Annahmen“, sagt Professor Dr. Heinz Streib von der Forschungsstelle Biographische Religionsforschung der Universität Bielefeld. Der Theologe und Religionspsychologe leitet das Verbundprojekt gemeinsam mit dem Psychologieprofessor Ralph W. Hood PhD von der University of Tennessee at Chattanooga. 

„Lange Zeit wurde außerdem davon ausgegangen, dass die Festlegung auf die eigene Glaubensvorstellung mit dem Abschied vom Kinderglauben und dem Übergang ins Erwachsenenalter weitgehend abgeschlossen ist“, sagt Streib. „In unseren Analysen der vergangenen Jahre können wir dokumentieren: Auch Menschen im Erwachsenenalter wechseln ihren religiösen Stil“. 

In dem Projekt arbeiten Wissenschaftler*innen aus Psychologie, Theologie, Soziologie und Linguistik. Zu dem Bielefelder Projektteam gehören unter anderem die Psychologin und Psychoanalytikerin Dr. Barbara Keller, die Linguistin Dr. Ramona Bullik und die Soziologin Anika Steppacher. 

Daten zu religiös-weltanschaulicher Entwicklung aus zwei Jahrzehnten
Befragt werden Erwachsene aller Altersgruppen mit unterschiedlichsten religiösen, spirituellen oder anderen – zum Beispiel atheistisch-humanistischen – Orientierungen. Als Methoden nutzen die Forschenden Onlinefragebögen und Leitfadeninterviews. Per Fragebogen werden etwa Dimensionen der Persönlichkeit, mystische Erfahrungen wie auch psychologisches Wohlbefinden und Wachstum erhoben. Das Projekt setzt das Leitfragen-Interview zu religiöser Entwicklung (Faith-Development-Interview) ein, entwickelt von dem US-amerikanischen Theologieprofessor James Fowler. Damit wird nach der Lebensgeschichte, nach Beziehungen, Werten und Religiosität beziehungsweise Weltanschauung gefragt. Die Interviews durchlaufen eine narrative Analyse und eine Inhaltsanalyse, auch werden sie nach religiösen Stilen ausgewertet. Die Forscher*innen haben eine große Zahl an Fallstudien erarbeitet und publiziert, unter anderem im jüngst erschienenen Buch „Deconversion Revisited“.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben mehrere tausend Studienteilnehmende den Fragebogen beantwortet. Projektmitarbeiter*innen haben mit mehr als 1.000 Menschen in Deutschland und den USA ein Faith-Development-Interview geführt. Von ihnen haben 250 Menschen an einem Folgeinterview teilgenommen, von 75 Teilnehmer*innen liegen sogar drei Interviews vor. Diese beiden Gruppen der Interviewten sind für die Langzeitstudie derzeit besonders bedeutsam. Denn wenn Menschen über mehrere Jahre wiederholt befragt werden, können ihre individuellen Glaubenswege dokumentiert werden. In der neuen Projektphase soll die Gruppe der Interviewten um mehrere Hundert Personen erweitert werden, die jeweils zur Hälfte aus Deutschland und den USA kommen. 

Analyse zeigt: Mehrheit der Befragten prägt im Lauf der Jahre höheren religiösen Stil aus
Die Forschenden arbeiten in ihren Studien vier religiös-weltanschauliche Stile heraus, die voneinander abgestuft werden: der fundamentalistisch-ethnozentrische, der konventionelle, der individuierend-reflektierende und der dialog-offene Stil. Diese Stile zeigen an, wie Glaube, Spiritualität und Weltanschauung die eigene Lebensgeschichte und das praktische Handeln in Lebenswelt und Gesellschaft prägen. In einer kürzlich veröffentlichten Studie – erschienen im Fachmagazin Psychology of Religion and Spirituality – analysierte ein Forschungsteam des Projekts, wie sich die religiösen Stile der dreifach Befragten über etwa zehn Jahre entwickelten. Die Studie weist nach, dass die Mehrheit der Befragten einen höheren Stil ausprägt, sich zum Beispiel vom individuierend-reflektierenden zum dialog-offenen Stil fortentwickelt oder vom konventionellen zum individuierend-reflektierenden Stil. Faktoren, die dieser Entwicklung vorangehen, sind unter anderem hohe Werte für Offenheit für Erfahrungen und niedrige Zustimmung zur Absolutheit der eigenen Religion.

„Religiöse Entwicklung stellt sich jedoch nicht als einlinige Höherentwicklung dar“, sagt Streib. „Religiöse Entwicklung erscheint vielmehr als Progression und Regression, kann sich also auf ein höheres oder niedrigeres Niveau verändern. Bei einem erheblichen Teil der Interviewten ist ein Rückgang der religiösen Entwicklung festzustellen. Dieser Befund widerspricht Annahmen aus der Entwicklungspsychologie, die davon ausgehen, dass religiöse Stile – oder beispielsweise Moral – sich lediglich aufwärts entwickeln.“ 

Die neue Förderphase des Forschungsprojekts zu religiöser Entwicklung startet Anfang Januar 2022 und läuft bis Herbst 2024. Die John Templeton Foundation (USA) fördert die Kooperation mit rund 850.000 Euro, die Deutsche Forschungsgemeinschaft gibt rund 350.000 Euro. Ein neuer Fokus des Projekts wird sein, wie sich religiös-weltanschauliche Entwicklung darauf auswirkt, wie sich das Gottesbild beziehungsweise die Vorstellung von Transzendenz verändert. In einem zweiten Fokus geht das Projekt der Frage nach, inwiefern religiös-weltanschauliche Entwicklung hilft, Vorurteile und Xenophobie zu verringern und somit zu gesellschaftlichem Zusammenhalt beitragen kann.

Originalveröffentlichungen:

  • Heinz Streib, Zhuo Job Chen, Ralph W. Hood: Faith development as change in religious types: Results from three-wave longitudinal data with faith development interviews. Psychology of Religion and Spirituality, https://doi.org/10.1037/rel0000440
  • Heinz Streib , Barbara Keller , Ramona Bullik , Anika Steppacher , Christopher F. Silver , Matthew Durham , Sally B. Barker, Ralph W. Hood: Deconversion Revisited. Biographical Studies and Psychometric Analyses Ten Years Later. Brill Germany/Vandenhoeck & Ruprecht, https://doi.org/10.13109/9783666568688 

Weitere Informationen: 

Kontakt:

Prof. Dr. Heinz Streib, Universität Bielefeld
Fakultät für Geschichtswissenschaften, Theologie und Philosophie
E-Mail: heinz.streib@uni-bielefeld.de
Telefon: 0521 106-3377


Fernstudium für Gesundheits- und Pflegeberufe an der Universität Bielefeld (Nr. 01/2022)

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Digitale Infoveranstaltung am 13. Januar 

Die Universität Bielefeld bietet für Fach- und Führungskräfte im Gesundheits- und Sozi-alwesen und in Pflegeeinrichtungen berufsbegleitend Qualifizierungsmöglichkeiten an. In einer digitalen Schnupperstunde am Donnerstag, 13. Januar, um 19 Uhr können sich Inte-ressierte über die Angebote der Fakultät für Gesundheitswissenschaften informieren und beraten lassen.

Inhalte des Fernstudiums Angewandte Gesundheitswissenschaften sind: Pflegeberatung nach Paragraph 7a des Sozialgesetzbuches XI, Case Management, Gesundheits- und Personalma-nagement, Gesundheits- und Präventionsberatung. Ebenfalls möglich ist eine Qualifizierung für Aufgaben im Kontext der Digitalisierung im Gesundheitswesen (Mehr Informationen: https://fag.uni-bielefeld.de).

Die Fakultät für Gesundheitswissenschaften bietet für akademische Gesundheits- und Pflege-berufe auch den Fernstudiengang Master of Health Administration an, der mit dem akademi-schen Grad Master of Arts abschließt. Das Angebot ermöglicht eine Qualifizierung für Lei-tungsaufgaben und den höheren Dienst (Mehr Informationen: https://mha.uni-bielefeld.de).

Anmeldung erbeten unter
E-Mail: fernstudium.gesundheitswissenschaften@uni-bielefeld.de
Telefon: 0521/106-4376,-4375,-4374

Auf der Suche nach einem kosmischen Hintergrund aus Gravitationswellen (Nr. 2/2022)

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Weltweites Radioteleskop-Netzwerk stellt neue Erkenntnisse vor

Wenn ein Stern explodiert oder schwarze Löcher miteinander verschmelzen, entstehen Schwingungen, die sich extrem langsam durch das Weltall ausbreiten – Gravitationswellen mit ultraniedriger Frequenz. Ein internationales Team von Astronom*innen, darunter der Astrophysiker Professor Dr. Joris Verbiest von der Universität Bielefeld, hat jetzt die Ergebnisse einer umfassenden Suche nach einem ultraniederfrequenten Gravitationswellenhintergrund veröffentlicht. Dieses Hintergrundrauschen entsteht dadurch, dass im Weltall unzählige Objekte Gravitationswellen ausstrahlen, die sich überlagern. Forschende wollen dieses spezielle Rauschsignal finden und nutzen, um die Geschichte und Entwicklung von Galaxien aufzuklären. Erschienen sind die neuen Forschungsbefunde in der Fachzeitschrift „Monthly Notices of the Royal Astronomical Society“.

Prof. Dr. Joris Verbiest, Bild der Person
Der Astrophysiker Prof. Dr. Joris Verbiest von der Universität Bielefeld sucht gemeinsam mit hunderten Fachkolleg*innen nach regelmäßigen Gravitationswellen-Signalen im Weltall. Foto: Universität Bielefeld
Albert Einstein sagte die Existenz von Gravitationswellen vor hundert Jahren mit seiner Relativitätstheorie voraus. Gemäß der Theorie werden diese Schwingungen im Raum von allen beschleunigten Körpern ausgelöst. Sie verbiegen den Raum und entstehen etwa bei der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher oder durch Explosionen von Sternen. Ähnlich wie ein ins Wasser geworfener Stein breiten sich Gravitationswellen in alle Richtungen aus. Je schwerer ein Himmelskörper ist und je schneller er sich beschleunigt, umso mehr Gravitationswellen werden produziert.

Zweite Datenveröffentlichung des Netzwerks nach 2016
Mit Gravitationswellen lassen sich Phänomene im Weltall unabhängig von Licht erforschen. Möglich wird das durch die Messung von Gravitationswellen mit Frequenzen im Nanohertzbereich – die Wellen ändern sich extrem langsam, weshalb die Forschenden sie über eine Dauer von Jahrzehnten beobachten müssen, um Veränderungen festzustellen. Sie können nur erfasst werden, wenn über viele Jahre Signale aus dem Weltall aufgefangen werden. Die aktuelle Publikation stellt die Zusammenstellung und Analyse solcher Langzeitmessungen vor. Präsentiert werden die Ergebnisse vom International Pulsar Timing Array (IPTA) – einem globalen Netzwerk von Astronom*innen. Im IPTA kooperieren wiederum mehrere regionale Konsortien von Wissenschaftler*innen von Universitäten und Forschungsinstituten. Die Forschenden arbeiten an Radioteleskopen und befassen sich mit der Analyse und Modellierung von Gravitationswellensignalen. Nachdem 2016 erste Ergebnisse zur Suche nach Gravitationswellen publiziert wurden, folgt nun die zweite Datenveröffentlichung („Data Release 2“, DR2). Insgesamt sind 126 Wissenschaftler*innen an der Publikation beteiligt.

Der neue Datensatz besteht aus Zeitmessdaten von 65 Millisekundenpulsaren. Pulsare sind rotierende Neutronensterne – kompakte, extrem dichte Überreste ausgebrannter Sterne. Sie drehen sich hunderte Male pro Sekunde um die eigene Achse. Dabei senden sie an ihren magnetischen Polen stark gebündelte Radiowellen aus. Die Wellen werden aufgrund der Drehung der Neutronensterne als Pulse sichtbar. Die Signale werden von den Gravitationswellen beeinflusst und ermöglichen die Untersuchung des Ursprungs des Gravitationswellenhintergrunds. Gemessen werden die Signale mit einem Netz weltweiter Radioteleskope. Daran wirken drei Radioteleskop-Konsortien mit: das European Pulsar Timing Array (EPTA), das nordamerikanische Nanohertz-Observatorium für Gravitationswellen (NANOGrav) und das Parkes Pulsar Timing Array in Australien (PPTA). Die drei Konsortien haben das IPTA gegründet. Für die jetzige Datenveröffentlichung des IPTA wurden Datensätze kombiniert, die die drei Radioteleskop-Konsortien voneinander unabhängig erzeugt hatten.

Datensatz von europäischem Konsortium deckt bis zu 18 Jahre ab
Vom europäischen Radioteleskop-Konsortium EPTA, an dem auch die Arbeitsgruppe von Joris Verbiest von der Universität Bielefeld mitwirkt, stammen Daten zu 42 Pulsaren. Diese Messungen wurden über einen Zeitraum von bis zu 18 Jahren erfasst und in Zeitreihenuntersuchungen ausgewertet. „Eine der Stärken der EPTA liegt in der Datenkombination – der EPTA-Datensatz muss aus Messungen von bis zu fünf verschiedenen Radioteleskopen zusammengeführt werden“, erklärt Joris Verbiest. Er ist eines der leitenden Mitglieder des EPTA und Mitautor der neuen Studie. „Weil Datenkombination eine der Hauptkompetenzen der EPTA ist, hat unser Konsortium eine führende Rolle bei der Erstellung der aktuellen IPTA-Datenpublikation übernommen.“

„Das European Pulsar Timing Array ist selbst bereits ein internationales Projekt und wir sind es gewohnt, Daten von bis zu fünf verschiedenen Radioteleskopen zu kombinieren und sogar gleichzeitig zu beobachten. Dieses Fachwissen war bei der Erstellung der aktuellen Datenveröffentlichung sehr hilfreich“, sagt Dr. David Champion vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn, Mitglied des EPTA-Konsortiums und Mitautor der Studie.

Künstlerische Darstellung: Gruppierung von Pulsaren um die Erde, eingebettet in einen Gravitationswellenhintergrund
Die künstlerische Darstellung des IPTA-Experiments zeigt eine Gruppierung von Pulsaren um die Erde, eingebettet in einen Gravitationswellenhintergrund, der von Binärsystemen von supermasse-reichen schwarzen Löchern herrührt. Bild: Carl Knox/OzGrav
Die Daten und Analysen des EPTA machen einen Großteil der Angaben in der IPTA-Datenpublikation aus. Die verwendete Analysemethodik, die auf bayesscher Statistik basiert, wurde großteils von Mitgliedern des EPTA entwickelt. Mit der Methodik lassen sich Obergrenzen für die Stärke des Gravitationswellenhintergrunds (GWB) festlegen, um so die Statistik des entstehenden Signals über die Jahre hinweg verstehen zu können.

Starke Hinweise auf Gravitationswellensignal im ultraniedrigen Frequenzbereich
Die Suche nach einem Gravitationswellenhintergrund beinhaltet auch, dass die einzelnen Datensätze der regionalen Konsortien mit dem kombinierten Gesamtdatensatz verglichen werden. Der Vergleich hat jetzt deutliche Hinweise auf ein niederfrequentes Gravitationswellensignal ergeben, das bei vielen der Pulsare in den kombinierten Daten entdeckt wurde.

„Dies ist ein sehr aufregendes Signal! Obwohl wir noch nicht den endgültigen Beweis haben, könnten wir am Anfang davon stehen, einen Hintergrund von Gravitationswellen in den Daten zu entdecken“, sagt Dr. Siyuan Chen, Mitglied der EPTA- und NANOGrav-Kollaborationen und Leiter der DR2-Suche und der jetzigen IPTA-Veröffentlichung. Dr. Boris Goncharov vom australischen Parkes Pulsar Timing Array warnt allerdings vor möglicherweise zu weitgehenden Interpretationen solcher gemeinsamen Signale: „Wir untersuchen auch alternative Interpretationen. Das Signal  könnte zum Beispiel vom Rauschen herrühren, das in den Daten einzelner Pulsare vorhanden ist und in unseren Analysen nicht korrekt modelliert wurde.“

Radioteleskop in einem Waldgebiet
Das Radioteleskop Effelsberg des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie ist Teil des IPTA-Radioteleskop-Netzwerks im Rahmen des Large European Array for Pulsars (LEAP). Foto: Norbert Tacken/MPIfR
„Es ist wirklich großartig, diese Arbeit zu sehen und am IPTA-Netzwerk beteiligt zu sein“, sagt Dr. Krishnakumar Ambalappat aus der Arbeitsgruppe von Joris Verbiest. Ambalappat war nicht an der aktuellen Arbeit beteiligt, leitet aber die Integration der indischen Daten in die nächste IPTA-Datenveröffentlichung. Künftig werden neue Daten des MeerKAT-Teleskops in Südafrika und des Indian Pulsar Timing Array (InPTA), dem jüngsten Mitglied der IPTA, die Datensätze des globalen Netzwerks erweitern. „Vor einem halben Jahrzehnt wurde die erste IPTA-Kombination von unserer Arbeitsgruppe geleitet“, sagt Ambalappat. „Jetzt arbeiten wir im IPTA-Netzwerk an der dritten Datenkombination, die noch mehr Daten enthalten und noch präziser ausfallen wird, sodass wir einem überzeugenden Nachweis von Gravitationswellen und der direkten Untersuchung supermassereicher schwarzer Löcher zum ersten Mal sehr nahe kommen.“

Forschende arbeiten an Datensatz mit mindestens 25 Pulsaren
Kürzlich produzierte das European Pulsar Timing Array einen neuen Datensatz mit sechs Pulsaren, mit dem die Beobachtungszeit auf 24 Jahre mit empfindlicheren Daten erweitert werden konnte. Die Analyse erfolgte sowohl für die Suche nach einem gemeinsamen Signal über zwei unabhängige Datenanalysekanäle als auch für eine einzelne Studie zum Rauschen der Pulsare. Es wird weiterhin daran gearbeitet, die Anzahl der Pulsare auf mindestens 25 zu erhöhen. Dieser erweiterte EPTA-Datensatz wird dann auch Teil der nächsten IPTA-Datenkombination werden. In Anbetracht der zuletzt veröffentlichten Ergebnisse von den Einzelgruppen, die nun alle das gemeinsame Signal darstellen können, ist das IPTA optimistisch, was erreicht werden kann, wenn diese Daten wiederum in der nächsten Datenveröffentlichung (IPTA DR3) kombiniert werden.

Originalveröffentlichung:
The International Pulsar Timing Array second data release: Search for an isotropic Gravitational Wave Background. Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, https://doi.org/10.1093/mnras/stab3418, online erschienen am 12. Januar 2022.

Weitere Informationen:
  • Website des International Pulsar Timing Array (IPTA)
  • Website des European Pulsar Timing Array (EPTA)


Kontakt:
Prof. Dr. Joris Verbiest, Universität Bielefeld
Fakultät für Physik
Telefon: 0521 106 3184
E-Mail: verbiest@physik.uni-bielefeld.de

Studie zeigt: Menschen mit Migrationshintergrund ebenso gesundheitskompetent wie Allgemeinbevölkerung (Nr. 3/2022)

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Erste umfangreiche Erhebung bei Migrant*innen und Folgegenerationen

Gesund bis ins hohe Alter – die Gesundheitskompetenz trägt dazu entscheidend bei. Fehlt sie, wirkt sich das auf das Verhalten der Personen aus: wenig Sport und Bewegung, schlechte Ernährung, mehr Medikamente und intensivere Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung. Obwohl die Einwohner*innen mit Migrationshintergrund fast ein Viertel der gesamten Bevölkerung in Deutschland ausmachen, gab es bisher keine umfangreiche Erhebung ihrer Gesundheitskompetenz. Wissenschaftler*innen der Universitäten Bielefeld und Köln analysierten jetzt erstmals die Gesundheitskompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund. Das zentrale Ergebnis: Entgegen der bislang vorherrschenden Einschätzung fällt ihre Gesundheitskompetenz ähnlich aus wie die der Gesamtbevölkerung in Deutschland, tendenziell sogar etwas besser.


Das Studienteam folgert aus dem Ergebnis, dass Menschen mit Migrationshintergrund mit Blick auf ihre Gesundheitskompetenz nicht pauschal als vulnerable Gruppe bezeichnet werden können, sondern differenziert zu betrachten sind.

Erstmals speziell Menschen mit Migrationshintergrund zu Gesundheitskompetenz befragt
Forschende der Universität Bielefeld erfassen regelmäßig den Stand der Gesundheitskompetenz der Menschen, die in Deutschland leben. Die Studie zur Gesundheitskompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland (HLS-MIG) legt einen neuen Schwerpunkt. „Erstmals haben wir mit der Studie das Ausmaß, die Ursachen und die Konsequenzen der Gesundheitskompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland detailliert erfasst“, sagt Professorin Dr. Doris Schaeffer von der Universität Bielefeld. Sie leitet die Studie gemeinsam mit Dr. Eva-Maria Berens, ebenfalls von der Universität Bielefeld.

Für die Studie wurden die zwei größten Einwanderungsgruppen in Deutschland befragt: Menschen mit Migrationshintergrund aus der Türkei und aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Gemeinsam haben sie einen Anteil von 30 Prozent an allen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland.

Prof’in Dr. Doris Schaeffer von der Universität Bielefeld leitete die neue Studie zur Gesundheitskompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund. Seit 2014 verantwortet sie groß angelegte Studien zur Gesundheitskompetenz in Deutschland. Foto: Universität Bielefeld/S. Roth Foto: Universität Bielefeld/S. Roth
Kaum Unterschiede zur Allgemeinbevölkerung
Die von der Robert Bosch Stiftung geförderte Studie zeigt, dass gut die Hälfte (52 Prozent) der Personen mit ex-sowjetischem und türkischem Migrationshintergrund über eine geringe Gesundheitskompetenz verfügt; die andere Hälfte (48 Prozent) weist eine hohe Gesundheitskompetenz auf. Menschen mit Migrationshintergrund sind damit ähnlich aufgestellt wie die Allgemeinbevölkerung. Dies erklären die Forscherinnen mit der oft langjährigen Aufenthaltsdauer. „Zur Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund zählen alle, die selbst nach Deutschland eingewandert sind und auch ihre Nachkommen. Oft leben sie schon seit mehreren Jahrzehnten in Deutschland“, sagt Eva-Maria Berens.

Zu beachten sei aber, dass Gesundheitskompetenz bei Menschen mit Migrationshintergrund sozial ungleich verteilt ist, so Berens. Niedriges Bildungsniveau, niedriger Sozialstatus, ein höheres Lebensalter und chronische Erkrankungen – das sind der Studie zufolge alles Faktoren, die ähnlich wie in der Allgemeinbevölkerung auch, mit einer geringeren Gesundheitskompetenz einhergehen. Zudem haben eine eigene Migrationserfahrung und geringe Deutschkenntnisse Einfluss auf geringe Gesundheitskompetenz.

„Die vorgelegte Studie zeigt deutlich, wie wichtig es ist, genauer hinzusehen und keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Der Migrationshintergrund spielt – anders als Armut oder Bildungsstand – keine wesentliche Rolle für die Gesundheitskompetenz. Das ist ein ermutigendes Signal für das gemeinsame Leben in einer Einwanderungsgesellschaft und gibt wichtige Hinweise für die Interventionsentwicklung“, sagt Dr. Ingrid Wünning Tschol, Bereichsleiterin Gesundheit der Robert Bosch Stiftung GmbH.

Nutzung fremdsprachlicher Gesundheitsinformationen ist weit verbreitet

Menschen mit Migrationshintergrund haben laut der Studie ein großes Interesse an Gesundheitsinformationen. Ein großer Teil der Befragten nutzt Gesundheitsinformationen mehrsprachig. Mehr als die Hälfte der ex-sowjetischen Befragten (64 Prozent) bezieht Gesundheitsinformationen auch oder ausschließlich auf Russisch. Befragte mit türkischem Migrationshintergrund nutzen zu 45 Prozent auch Informationen auf Türkisch. „Vor allem Menschen mit eigener Migrationserfahrung und geringen Deutschkenntnissen suchen häufiger nach Information in der Sprache ihres Herkunftslandes. Aber auch Befragte der zweiten Generation und mit guten Deutschkenntnissen machen durchaus davon Gebrauch“, sagt Eva-Maria Berens.

Die Gesundheitswissenschaftlerin Dr. Eva-Maria Berens ist Co-Leiterin der neuen Studie. Sie forscht am Interdisziplinären Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung (IZGK) der Universität Bielefeld. Foto: Universität Bielefeld Foto: Universität Bielefeld
Ausführliches Zuhören ist in Behandlungsgesprächen nicht selbstverständlich
Einen Unterschied zur Allgemeinbevölkerung konnten die Wissenschaftler*innen bei der Kommunikation mit Ärzt*innen feststellen. Für Menschen mit Migrationshintergrund ist es gemäß der Studie besonders schwer, Ärzt*innen zum Zuhören zu bringen, ohne unterbrochen zu werden. Etwa ein Drittel der ex-sowjetischen Befragten wie auch der Befragten mit türkischem Migrationshintergrund findet das schwierig. Dieser Wert ist deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung. Auch Fachbegriffe sind eine Hürde.

Die Forscherinnen sehen großen Handlungsbedarf in Politik und Gesellschaft. „Wir müssen gesellschaftlich mehr in die Förderung der Gesundheitskompetenz der gesamten Bevölkerung investieren“, sagt Doris Schaeffer. „Außerdem muss das pauschale Bild von Menschen mit Migrationshintergrund revidiert und die Gruppe differenziert betrachtet werden.“ Um den Umgang mit Gesundheitsinformationen zu erleichtern, sehen die Forscherinnen verschiedene Ansatzpunkte. Besonders die Qualität und Zugänglichkeit von Gesundheitsinformationen muss verbessert und mehr auf geringe Gesundheitskompetenz und Diversität ausgerichtet werden. Auch zielgruppenspezifische Maßnahmen zur Förderung der Gesundheitskompetenz sind sehr wichtig.

Hintergrund der Studie
Konzipiert wurde die Studie nach dem Vorbild des Health Literacy Survey Germany (HLS-GER), mit dem 2014 und 2020 in einer repräsentativen Befragung die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland ermittelt wurde. Für die jetzige Erhebung wurden die Fragebögen an die Besonderheiten von Menschen mit Migrationshintergrund angepasst und etwa 1.000 Interviews erhoben und ausgewertet. Das bis September 2022 laufende Projekt wurde mit 650.000 Euro von der Robert Bosch Stiftung gefördert. Gesundheitskompetenz umfasst die Fähigkeit, Informationen zu Gesundheitsthemen finden, verstehen, einschätzen und anwenden zu können. Frühere Studien zeigen: Je geringer diese Kompetenz bei Menschen ausfällt, desto häufiger suchen sie Ärzt*innen auf, kommen öfter ins Krankenhaus und nutzen Notfalldienste.

Originalveröffentlichung:
Eva-Maria Berens, Julia Klinger, Monika Mensing, Sarah Carol, Doris Schaeffer: Gesundheitskompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland: Ergebnisse des HLS-MI. Bielefeld: Interdisziplinäres Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung (IZGK), Universität Bielefeld, https://doi.org/10.4119/unibi/2960131, veröffentlicht am 17. Januar 2022.

Weitere Informationen

Kontakt:

Dr. Eva-Maria Berens, Universität Bielefeld
Fakultät für Gesundheitswissenschaften
Telefon: 0521 106-4818
E-Mail: eva-maria.berens@uni-bielefeld.de

Ehrendoktorwürde für den Lyriker Jan Wagner (Nr.5/2022)

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Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld ehrt bedeutenden deutschen Autor

Die Universität Bielefeld hat einen neuen Ehrendoktor: den Berliner Autor, Übersetzer und Essayist Jan Wagner. Die Ehrendoktorwürde verlieh ihm die Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft in einem Festakt am 26. Januar.


Ehrenpromotion für den Lyriker Jan Wagner (2.v.r.) mit Studiendekan Dr. Jan Andres, Dekanin Prof’in Dr. Petra Wagner und Laudator Prof. Dr. Wolfgang Braungart. Foto: Universität Bielefeld/M.-D. Müller
Ehrenpromotion für den Lyriker Jan Wagner (2.v.r.) mit Studiendekan Dr. Jan Andres, Dekanin Prof’in Dr. Petra Wagner und Laudator Prof. Dr. Wolfgang Braungart. Foto: Universität Bielefeld/M.-D. Müller
„Jan Wagner gehört – auch in der internationalen Wahrnehmung – zu den bedeutendsten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart“, betont der Bielefelder Literaturwissenschaftler und Laudator Professor Wolfgang Braungart. Wagner wurde 2017 mit dem wichtigsten deut-schen Literatur-Preis ausgezeichnet, dem Georg-Büchner-Preis, zuvor bereits mit hochkarätigen Auszeichnungen wie dem Preis der Leipziger Buchmesse 2015 und dem Friedrich-Hölderlin-Preis 2011. Jan Wagner sei zudem ein wunderbarer Lehrer, ein Vermittler der Dichtkunst und der Universität Bielefeld verbunden, so Braungart. Er hat bereits vor einigen Jahren an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft die Literaturwerkstatt geleitet und die Studierenden begeistert. Mehrfach war er an der Universität Bielefeld und in der Stadt Bielefeld mit Lesungen zu Gast und hat auch in der Stadtbibliothek einen Lyrik-Workshop geleitet.

Der Laudator Braungart würdigte die Leistungen Jan Wagners als Übersetzer englischsprachiger moderner Lyrik und damit als Literaturvermittler. Darüber hinaus sei Wagner ein groß-artiger Essayist. Er schreibe eine „klare, charmante, zugängliche und pointierte Essay-Sprache“. Seine Essays verstünden es meisterhaft, andere Autoren und Werke präzise zu charakterisieren. „Sie ebnen Lese*innen den Weg in das jeweilige literarische Werk.“

Der Berliner Autor, Übersetzer und Essayist Jan Wagner hat schon seit vielen Jahre gute Kontakte an die Bielefelder Universität und die Stadt Bielefeld.Foto: Universität Bielefeld/M.-D. Müller
Der Berliner Autor, Übersetzer und Essayist Jan Wagner hat schon seit vielen Jahre gute Kontakte an die Bielefelder Universität und die Stadt Bielefeld.Foto: Universität Bielefeld/M.-D. Müller
Jan Wagner, geboren 1971 in Hamburg, lebt seit 1995 in Berlin. Er ist Lyriker, Übersetzer eng-lischsprachiger Lyrik (unter anderem von Charles Simic, James Tate, Simon Armitage, Matthew Sweeney, Jo Shapcott und Robin Robertson) sowie Essayist und war bis 2003 Mithe-rausgeber der internationalen Literaturschachtel „Die Außenseite des Elementes“. Seine Ge-dichte wurden für Auswahlbände, Zeitschriften und Anthologien in vierzig Sprachen über-setzt. Jan Wagner ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, der Freien Akademie der Künste in Hamburg sowie des P.E.N.-Zentrums Deutschland.

Jan Wagner erhielt die Urkunde während des Festaktes im Zentrum für interdisziplinäre For-schung durch die Dekanin der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Professorin Dr. Petra Wagner. Der Schriftsteller bedankte sich mit einer „Kurzen Bielefelder Lesung mit Goldfaden“ aus seinen Werken.

Dies ist die erste Ehrendoktorwürde für Jan Wagner. Die Fakultät für Linguistik und Literurwissenschaft hat bisher Ehrendoktorwürden an acht weitere Personen vergeben: Professorin Dr. Claire Kramsch (2018), Dr. Sigrid Löffler (2010), Michael Krüger (2006), Paul Wühr (2003), Friederike Mayröcker (†) (2001), Professor Dr. Helmut Schnelle (2000), Gerardo Marotta (†) und Professor Dr. Harald Weinrich (beide 1988).

Zellteilung bei Mikroalgen: Mitose erstmals detailliert aufgeklärt (Nr. 6/2022)

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Forschende der Universität Bielefeld identifizieren beteiligte Zellstrukturen

Zellteilung sorgt für Wachstum oder Erneuerung. Sie ist für alle Organismen lebensnotwendig. Allerdings läuft sie in Tieren, Bakterien, Pilzen, Pflanzen und Algen nicht völlig gleich ab. Kaum bekannt war bisher, wie die Zellteilung der Algen abläuft. Forschende der Universität Bielefeld erfassen mit Konfokaler Laserscanningmikroskopie (CLSM) erstmals detailliert und dreidimensional die Zellteilung von lebendigen Zellen der Mikroalge Volvox carteri. Sie identifizieren dabei neue Strukturen der Zelle, die an der Zellteilung beteiligt sind. Leiter der Studie ist Professor Dr. Armin Hallmann von der Fakultät für Biologie. Die Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift The Plant Cell als Open-Access-Publikation veröffentlicht worden.

Die vielzellige, kugelförmige Grünalge Volvox carteri dient den Forschenden als Modellorganismus. Zu sehen ist ein Mutterorganismus mit 16 Tochterorganismen im Innern. Foto: Universität Bielefeld/ A. Hallmann
Die Zelle ist die kleinste Organisationseinheit des Lebens. Kompakt enthält sie die notwendigen Lebensbausteine und in ihr laufen die lebenswichtigen biochemischen Reaktionen ab. Mithilfe von Enzymen finden Stoff- und Energieumwandlungen statt, was auch als Stoffwechsel bekannt ist.  Das Zellinnere wird durch die Zellmembran von der Umgebung abgegrenzt und so geschützt. Das Erbgut, der Informationsspeicher der Zelle, befindet sich häufig als DNA im Zellkern. Wenn sich eine Zelle teilt, muss sie zunächst durch die Mitose ihren Zellkern auf zwei identische Tochterzellkerne mit demselben Erbgut aufteilen. Dann teilt sich der Rest der Zelle und es entstehen zwei identische Tochterzellen. Insbesondere der komplexe, genetisch festgelegte Prozess der Mitose muss sehr präzise ablaufen: Das gesamte Erbgut, aufgeteilt auf Chromosomen, muss fehlerfrei auf die beiden Tochterzellkerne übertragen werden. 

Zellteilung der Alge Volvox carteri vereint tierische und pflanzliche Merkmale
„Die Zellteilung ist einer der grundlegendsten Prozesse bei Lebewesen. Sie ist über unzählige Millionen Jahre der Evolution im Prinzip erhalten geblieben und lässt sich bei allen Organismen finden“, sagt Professor Dr. Armin Hallmann, Leiter der Arbeitsgruppe Zell- und Entwicklungsbiologie der Pflanzen an der Universität Bielefeld. Dennoch weisen die Mechanismen der Zellteilung in Tieren, Pilzen, Pflanzen und Algen jeweils charakteristische Eigenheiten auf. Die vielzellige Grünalge Volvox carteri ist hierbei ein besonders interessanter Fall. „Sie zeigt in der Mitose sowohl tierische als auch pflanzliche Merkmale“, sagt Hallmann. Dieses Phänomen konnten die Forschenden in ihrer Studie jetzt präzisieren.  „Über den genauen Ablauf der Mitose bei dieser Grünalge wusste die Forschung bisher sehr wenig.“

Prof. Dr. Armin Hallmann von der Universität Bielefeld leitete die Forschung zur Mitose der Mikroalge Volvox carteri. Foto: Universität Bielefeld/S. Jonek 
Mitose der Mikroalge Volvox carteri 
Mit ihren Analysen konnten die Wissenschaftler*innen fünf Charakteristiken identifizieren, die für die Mitose der Mikroalge Volvox carteri von entscheidender Bedeutung sind. 

Die ersten beiden Merkmale betreffen die Hülle des Zellkerns der Mikroalge. „Die Kernhülle zerfällt zu Beginn der Mitose nicht, wie oft üblich, sondern bleibt bis kurz vor Abschluss der Kernteilung bestehen“, sagt Armin Hallmann. „Stattdessen wird sie porös und durchlässig, sodass zwischen dem Inneren des Zellkerns und dem Cytosol – einer Flüssigkeit, die den Zellkern umgibt – Zellbestandteile ausgetauscht werden. Somit verliert der Zellkern für einen bestimmten Zeitraum seine typische Eigenschaft als abgegrenzter Reaktionsraum, obwohl die Kernhülle noch vorhanden ist.“

Das dritte Merkmal hängt mit den Zentrosomen der Zelle zusammen. Das sind Zellstrukturen, die hier eine zentrale Rolle bei der Organisation der Kernteilungsspindel spielen. Die Kernteilungsspindel ordnet dann die Chromosomen so an, dass sie fehlerfrei auf die beiden neu entstehenden Zellkerne aufgeteilt werden können. „Wir konnten zeigen, dass den Zentrosomen bei der Mitose von Volvox carteri eine entscheidende Rolle zukommt, obwohl diese außerhalb der Kernhülle liegen. Sie bilden die Grundstruktur, um die präzise Aufteilung des Erbguts mit Hilfe der Kernteilungsspindel innerhalb der Kernhülle zu organisieren. Bisher kannten wir eine Organisation der Spindel durch Zentrosomen nur von der Zellteilung in Tieren“, sagt Hallmann. 

Ein viertes Merkmal ist die Entstehung einer bestimmten, faserartigen Struktur, des Phycoplasten, am Ende der Mitose. Nachdem sich der Zellkern geteilt hat, muss sich nun nämlich auch noch der Rest der Zelle teilen, damit sich die neu entstehenden Zellen endgültig voneinander trennen können. Der dynamische Phycoplast ist dabei die Grundlage für die Bildung einer Trennungsfurche, die letztendlich die Zelle zerteilt, wohingegen Pflanzen eine davon abweichende Struktur bilden, die schließlich zur Bildung einer trennenden, festen Zellwand führt. „Das Besondere bei Algen ist, dass der Phycoplast direkt durch Recycling der dann nicht mehr benötigten Kernteilungsspindel gebildet wird“, erklärt der Wissenschaftler. 

Schließlich konnten die Forschenden eine enorme Dynamik der gesamten inneren Architektur der Zelle sowie der Hülle des Zellkerns während der Zellteilung feststellen.
Biologie-Postdoc Eva Laura von der Heyde hat die Forschungsergebnisse zur Mitose der Mikroalge als Erstautorin veröffentlicht. Auch sie forscht an der Universität Bielefeld. Foto: Universität Bielefeld/S. Jonek

Molekulare Prozesse sichtbar machen 
Erfassen konnten die Forschenden die Zellteilungsprozesse durch die Herstellung fluoreszierender, also bei Lichteinstrahlung leuchtender Proteine, und deren Nachverfolgung in der Zelle mit Konfokaler Laserscanningmikroskopie (CLSM). Zum ersten Mal ist es damit Wissenschaftler*innen gelungen, die Mitose von Mikroalgen am Beispiel von Volvox carteri in einem bildgebenden Verfahren an lebenden Zellen dreidimensional darzustellen und detailliert zu charakterisieren. 

„Wir haben uns gefragt: Wie genau funktioniert die Zellteilung bei Grünalgen? Welche Strukturen sind an der Mitose beteiligt und welche Rolle spielen sie in dem Prozess?“, sagt die Erstautorin Dr. Eva Laura von der Heyde. Sie forschte bislang als Doktorandin und jetzt als Postdoc in der Arbeitsgruppe von Hallmann. Um wichtige, an der Zellteilung beteiligte Proteine in der Zelle lokalisieren zu können, werden ihre Gene mit molekularbiologischen Techniken mit dem Gen eines fluoreszierenden Proteins verbunden. Die an der Zellteilung beteiligten Proteine werden dadurch fluoreszierend, wodurch sie dann von allen anderen Proteinen in der Zelle unterscheidbar sind. „Mit einem speziellen Laser haben wir verschiedene fluoreszierende Proteine zum Leuchten angeregt. Das gelbgrüne Leuchten der von den Proteinen gebildeten Mikrostrukturen konnten wir in lebenden Zellen mit einem Konfokalen Laserscanningmikroskop detektieren“, sagt Eva Laura von der Heyde. 

Wie sich die Proteine bei der Zellteilung bewegen, wie sie Mikrostrukturen bilden und wie diese Strukturen wieder umgebaut werden, hielten die Forschenden auch in Videoaufnahmen fest. In einem Zeitraffer-Video, das 30 Minuten der Mitose auf neun Sekunden verkürzt und in zehn optischen Schnitttiefen gleichzeitig zeigt, wird deutlich, wie die Zentrosomen die Bildung der Kernteilungsspin-del organisieren und wie sich die Kernteilungsspindel nach der Trennung der Chromosomen schließlich in den Phycoplasten umwandelt.

Einblicke in die Evolution 
Langfristig hoffen Armin Hallmann und Eva Laura von der Heyde, aufbauend auf den neuen Erkenntnissen mehr über die Evolution der Zellteilung erfahren zu können. Wie kam es zu den verschiedenen Varianten der Zellteilung, die man heute bei Tieren, Pilzen, Pflanzen und Algen findet? „In der Evolution entwickelten sich die ersten Landpflanzen aus Ur-Grünalgen. Daher besitzt die Grünalge Volvox carteri auch Eigenschaften, die sie mit den heute lebenden Landpflanzen gemeinsam hat. Auffällig ist aber, dass Volvox carteri auch solche Eigenschaften besitzt, die so auch bei den heute lebenden Tieren zu finden sind. Andere ihrer Charakteristiken sind wiederum nur in Grünalgen zu finden. Wegen dieser besonderen Merkmale ist dieser Modellorganismus auch für unser Verständnis der Evolution der Zellteilung so wichtig“, sagt Hallmann.

Originalveröffentlichung:
Eva Laura von der Heyde, Armin Hallmann: Molecular and cellular dynamics of early embryonic cell divisions in Volvox carteri. The Plant Cell, https://doi.org/10.1093/plcell/koac004, online veröffentlicht am 9. Januar 2022.

Weitere Informationen:
Website der Arbeitsgruppe 

Kontakt:
Prof. Dr. Armin Hallmann, Universität Bielefeld
Fakultät für Biologie
Telefon: 0521 106-5592


Ministerpräsident Wüst und Wissenaschaftsministerin Pfeiffer-Poensgen besuchen die Medizinische Fakultät OWL (Nr.4/2022)

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Am 23. September 2021 wurde der Lehrbetrieb an der Medizinischen Fakultät OWL der Univer-sität Bielefeld feierlich eröffnet. Die ersten 60 Studierenden studieren seitdem Medizin in Bielefeld. Die Gründung der Fakultät ist eines der zentralen Vorhaben der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen.

Am Dienstag, 25. Januar 2022, werden Ministerpräsident Hendrik Wüst und Wissenschaftsmi-nisterin Isabel Pfeiffer-Poensgen die Universität Bielefeld besuchen und sich vor Ort ein Bild von der neuen Fakultät machen, die einen wichtigen Beitrag zu Sicherung der medizinischen Versorgung in Ostwestfalen-Lippe leisten soll. Die Universität Bielefeld lädt Sie ein, diesen Termin zu begleiten und darüber zu berichten.

Der Pressetermin in Kürze:
Datum: Dienstag, 25. Januar 2022, 11:30 Uhr
Ort: Universität Bielefeld, Hörsaalgebäude Y, Konsequenz 41b
Einen Lageplan mit den Gebäuden finden Sie hier: https://www.uni-bielefeld.de/uni/anreise-kontakt/lageplaene/index.xml

Programm:
•    Die Dekanin der Medizinischen Fakultät OWL der Universität Bielefeld, Prof. Dr. Clau-dia Hornberg, präsentiert gemeinsam mit Rektor Prof. Dr.-Ing. Gerhard Sagerer den aktuellen Stand des Aufbaus. Kanzler Dr. Stephan Becker berichtet über den Stand der Baumaßnahmen. Ort: Foyer des Gebäude Y.

•    Ministerpräsident Wüst und Wissenschaftsministerin Pfeiffer-Poensgen tauschen sich mit Studierenden der Medizinischen Fakultät aus. Ort: Hörsaal des Gebäude Y.
•    Statements des Ministerpräsidenten und der Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. Ort: Foyer des Gebäude Y.

Anschließend: Gelegenheit für Fragen der Medienvertreter*innen.

Organisatorisches
Aufgrund der aktuellen Corona-Lage bitten wir Folgendes zu beachten:
•    Eine Pool-Lösung für Bildmedien behalten wir uns vor.
•    Pressevertreter*innen müssen sich verbindlich anmelden (max. 2 Personen pro Medi-um). Die Teilnehmer*innenzahl ist begrenzt.
•    Für die Teilnahme an dem Termin ist der 2G-plus-Nachweis (geimpft oder genesen, plus aktueller negativer Schnelltest) nötig. Schnelltests sind im Testzentrum auf dem Campus (Gebäude X) möglich.
•    Während des gesamten Termins ist eine Mund-Nasenbedeckung zu tragen (mindestens OP-Maske).


Kontakt und Anmeldung (mit Name, E-Mail-Adresse und Medium):
Universität Bielefeld, Pressestelle
E-Mail: medien@uni-bielefeld.de

Aus dem Beruf ins Studium – jetzt bewerben (Nr. 7/2022)

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Bis 1. April können sich Berufstätige ohne Abitur für ein Studium an der Universität Bielefeld anmelden

Für Menschen, die keine Allgemeine Hochschulreife haben, aber eine abgeschlossene Ausbildung und Berufserfahrung mitbringen oder über einen Meisterbrief verfügen, bietet die Universität Bielefeld verschiedene Zugangswege zu einem Studium.


Für beruflich Qualifizierte sind zum Beispiel ein Probestudium, eine Zugangsprüfung oder auch ein direkter Einstieg in fachlich einschlägige Studiengänge möglich. Interessierte finden alle
Informationen unter www.uni-bielefeld.de/studierenohneabi.

Doris Mahlke vom Studierendensekretariat der Universität berät ganz individuell zu den Zugangs- und Bewerbungsmöglichkeiten unter der Telefonnummer 0521 106-3407 oder per Mail:
doris.mahlke@uni-bielefeld.de
.

Fragen zum Studienangebot und zur Fächerwahl beantwortet vorab die Zentrale Studienberatung, aktuelle Sprechzeiten unter www.uni-bielefeld.de/zsb.


Studieren ab 15 für engagierte Schüler*innen (Nr. 8/2022)

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Begabtenförderungsprogramm startet zum Sommersemester mit neuem Online-Bewerbungsverfahren

Zum Sommersemester können überdurchschnittlich leistungsstarke und motivierte Schüler*innen wieder in das Schüler*innen-Studium „Studieren ab 15“ der Universität Bielefeld einsteigen. Wer Interesse an einer Teilnahme hat, kann sich dafür erstmals online über ein Bewerbungsportal bewerben. Bewerbungsschluss ist der 5. März. Am Freitag, 11. Februar, findet dazu ab 17.30 Uhr eine Informationsveranstaltung online (via Zoom) statt.

Neu am Bewerbungsverfahren ist, dass die Schüler*innen alle erforderlichen Daten über ein digitales Bewerbungsportal eingeben und lediglich zwei pdf-Dokumente (Zeugnis und Bewerbungsformular) hochladen müssen. Im Anschluss erhalten die Schüler*innen eine Bestätigung per E-Mail sowie eine Übersicht ihrer eigenen im Formular gemachten Angaben. Ebenfalls neu ist, dass die Schüler*innen nicht länger ein Empfehlungs- und Unterstützungsschreiben von einer Lehrkraft einholen müssen, sondern lediglich eine Lehrkraft als Ansprechperson benennen müssen, falls Rückfragen von Seiten der Universität bestehen.  

Den neuen Teilnehmer*innen stehen 14 Fächer zur Auswahl: Chemie, DAF – Deutsch als Fremdspra-che, Erziehungswissenschaft, Geschichtswissenschaft, Informatik, Latein (mit Eignungstest), Ma-thematik, Philosophie, Physik, Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft, Sozialwissenschaften, Soziologie und Wirtschaftswissenschaften.

Die Universität Bielefeld bietet seit vielen Jahren das Schüler*innen-Studium und Begabtenförderungsprogramm „Studieren ab 15“ an. Jedes Jahr nehmen zirka 80 Schüler*innen aus der Region Ostwestfalen-Lippe an diesem Programm teil. Das Programm bietet die Möglichkeit, einen authentischen Einblick in ein Studium an der Universität zu gewinnen. Auf Wunsch können die Schüler*innen an Prüfungen teilnehmen und erste Leistungspunkte für ein späteres Regelstudium erwerben.

Weitere Informationen:
Alle Programminformationen mit Terminen und Fristen sowie das Bewerbungsformular: www.uni-bielefeld.de/schuelerstudium 

Der Link zur Informationsveranstaltung am 11. Februar findet sich ebenfalls auf der oben genannten Internetseite unter dem Reiter „Wichtige Termine“. Für eine Bewerbung ist die Teilnahme an der Info-Veranstaltung nicht erforderlich.

Kontakt:
Junge Uni Bielefeld
E-Mail: jungeuni@uni-bielefeld.de

Wie Rechtsextremismus schleichend normal wird (Nr. 9/2022)

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Neue Kooperationsgruppe startet am Zentrum für interdisziplinäre Forschung

Ob im Parlament, in den sozialen Medien oder bei Demonstrationen: Rechtsextremistische Positionen haben in den letzten Jahren eine Sichtbarkeit erlangt, die lange undenkbar war. Das gilt nicht nur für Europa, sondern ebenso zum Beispiel für die USA, Brasilien und Indien. Wie kommt es zu dieser Normalisierung, wie verändert sie die Gesellschaft und welche Widerstandsstrategien werden in Politik und Zivilgesellschaft genutzt? Das sind Fragen, de-nen die Kooperationsgruppe „Normalizing the Far Right“ (Die Normalisierung der extremen Rechten) bis Dezember 2023 am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) nachgeht. Die internationale und interdisziplinäre Forschungsgruppe beginnt mit der Tagung „Normaliza-tion of the Far Right and its Mechanisms“ (Die Normalisierung der extremen Rechten und ihre Mechanismen), die vom 17. bis zum 19. Februar in hybridem Format am ZiF stattfindet. Zur Tagung gehört eine öffentliche Online-Podiumsdiskussion am 17. Februar um 18:20 Uhr. 

Prof’in Dr. Christina Morina, Foto der Person
Die Historikerin Prof’in Dr. Christina Morina von der Universität Bielefeld ist eine der drei Leiterinnen der interdisziplinäre Kooperationsgruppe am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF). Foto: T. Gebauer Foto: THOMAS GEBAUER
„Mit dem Aufkommen des Rechtspopulismus im neuen Jahrtausend wurde rechtsextremes Denken immer normaler. Rechtspopulisten und Rechtsextremisten haben wichtige Funktionen als Oppositionsparteien oder sogar in Regierungen übernommen“, so die Politikwissenschaftlerin Professorin Dr. Paula Diehl von der Universität Kiel. Sie leitet die Kooperationsgruppe zusammen mit der Historikerin Professorin Dr. Christina Morina von der Universität Bielefeld und der Politikwissenschaftlerin Professorin Dr. Birgit Sauer von der Universität Wien. Die Normalisierung der extremen Rechten sei eine Herausforderung für die Demokratie, da sie die Wahrnehmung dessen verändere, was demokratisch akzeptabel sei und was als normal gelte, so Christina Morina. „Die weite Verbreitung rassistischer und sexistischer Äußerungen ist ein gutes Beispiel dafür“, erklärt die Wissenschaftlerin. 

Profin. Paula Diehl, Foto der Person
Politikwissenschaftlerin Prof’in Dr. Paula Diehl von der Universität Kiel ist ebenfalls Leiterin der Kooperationsgruppe. Sie sagt: „Mit dem Aufkommen des Rechtspopulismus im neuen Jahrtausend wurde rechtsextremes Denken immer normaler.“ Foto: Universität Kiel Foto: Universität Kiel
Die Kooperationsgruppe wird sich damit befassen, wie antidemokratische Ideen, Einstellungen und soziale Praktiken in jüngerer Zeit gesellschaftsfähig wurden, einschließlich darauf basierender Politik: Gibt es gemeinsame Normalisierungsmechanismen, die alle diese Aspekte des gesellschaftlichen Lebens durchdringen? Funktionieren sie in den verschiedenen Bereichen von Politik und Gesellschaft, etwa politischer Kommunikation, Medien, Kultur und Recht, in gleicher Weise? „Das Ziel dieser Kooperationsgruppe ist es, die Mechanismen der Verbreitung und Normalisierung rechtsextremen Denkens aufzudecken und zu zeigen, wie sich die Grenzen des Normalen, des Sagbaren und Machbaren in der Demokratie verschieben“, erklärt Birgit Sauer. Dazu werden die Forschenden unter anderem die Reaktionen auf die Covid-19-Pandemie, etwa in Ungarn, Brasilien und den USA, analysieren. 

Profin. Birgit Sauer, Foto der Person
Prof’in Dr. Birgit Sauer ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Wien. Auch sie gehört zum Leitungsteam der internationalen Kooperationsgruppe „Normalizing the Far Right“ (Die Normalisierung der extremen Rechten). Foto: Otto Penz Foto: Otto Penz
Die Kooperationsgruppe setzt auf eine interdisziplinäre Perspektive und arbeitet mit internationalen Vergleichen. „Unser Ziel ist es, den Dialog zwischen internationalen Wissenschaftler*innen aus den Bereichen Soziologie, Politikwissenschaft, Recht, Geschichte, Medien und Kulturwissenschaften zu fördern“, erklärt Diehl. 

Für die Eröffnungskonferenz konnten die Leiterinnen der Kooperationsgruppe 40 Teilnehmer*innen aus zwölf Ländern gewinnen. Gemeinsam werden sie die Zusammenhänge von Faschismus, Populismus, der Anti-Gender-Bewegung und Verschwörungstheorien analysieren und nach der Bedeutung von Emotionen, Sozialen Medien und der Pop-Kultur für die Normalisierung der extremen Rechten fragen. Sie tagen teils in Präsenz am ZiF und teils zugeschaltet.

Zudem steht eine öffentliche Online-Podiumsdiskussion mit dem Titel „Dimensionen der Normalisierung der radikalen Rechten“ auf dem Programm.

Die Tagungssprache ist Englisch, die Podiumsdiskussion findet auf Deutsch statt. Journalist*innen sind herzlich eingeladen, über die Veranstaltung zu berichten. Eine Anmeldung für die Tagung und die Podiumsdiskussion ist erforderlich bei: trixi.valentin@uni-bielefeld.de.

Das Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld ist eine unabhängige, thematisch ungebundene Forschungseinrichtung und steht Wissenschaftler*innen aller Länder und aller Disziplinen offen. 

Weitere Informationen:
Website der Kooperationsgruppe

Kontakt:
Trixi Valentin, Universität Bielefeld
Zentrum für interdisziplinäre Forschung
Telefon: 0521 106-2769
E-Mail: trixi.valentin@uni-bielefeld.de

Mit dem Mikroskop durch Blut sehen (Nr. 10/2022)

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Forschungsverbund entwickelt Technologie für Bekämpfung bakterieller Belastungen

Mittelohrentzündungen werden häufig durch Cholesteatome ausgelöst, einer chronischen Knocheneiterung. Damit Cholesteatome und andere bakterielle Belastungen besser erkannt und sicher beseitigt werden können, arbeitet das neue Kooperationsprojekt „BetterView“ an einem speziellen Operationsmikroskop: Das so genannte SWIR-Mikroskopsystem nutzt kurzwelliges Infrarotlicht. Es soll Blut, bakterielle Biofilme, Knorpel und Weichgewebe durchleuchten, räumlich darstellen und voneinander unterscheidbar machen. In dem Projekt kooperieren sieben Partnereinrichtungen, darunter die Universität Bielefeld und das Klinikum Bielefeld, eine der Trägerkliniken des Universitätsklinikums OWL. Koordiniert wird die Forschung von dem Medizintechnik-Unternehmen Munich Surgical Imaging. Für das Projekt werden insgesamt 4,1 Millionen Euro aufgewendet. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert die neue Forschung. 

Bild der Person: Prof. Dr. Thomas Huser, Fakultät für Physik, Arbeitsgruppe Biomolekulare Photonik
Der Physiker Prof. Dr. Thomas Huser von der Universität Bielefeld arbeitet in dem neuen Projekt daran, dass das Operationsmikroskop hochauflösende, räumliche Aufnahmen liefert und zum Beispiel bakterielle Biofilme farblich von Körpergewebe abhebt. Foto: Universität Bielefeld/M.-D. Müller
Minimalinvasive Chirurgie arbeitet mit kleinsten Hautschnitten – bei den Operationen wird das Gewebe also kaum verletzt. Optische Mikroskope helfen, die zu operierende Stelle zu untersuchen. Sie beleuchten das Operationsfeld und übertragen die Ansicht in hoher Auflösung auf einen Bildschirm. Bisher wird in der chirurgischen Mikroskopie allerdings fast ausschließlich mit Licht aus dem sichtbaren Spektralbereich gearbeitet. Die genutzten Mikroskope kommen an ihre Grenze, wenn die Oberfläche durch Einblutungen verdeckt oder bakterielle Besiedlung kontaminiert ist. Damit Ärzt*innen in solchen Situationen freie Sicht haben, entwickelt das neue Projekt „BetterView“ das neue SWIR-Operationsmikroskop. SWIR steht für ShortWave InfraRed, deutsch: Kurzwellen-Infrarot. 

Sensoren für Kurzwellen-Infrarotlicht erst seit Kurzem leicht verfügbar
„Eine neue Generation von Bildsensoren macht es nun möglich, Operationsmikroskope mit der Funktion auszustatten, Aufnahmen im kurzwelligen Infrarot-Lichtspektrum in Echtzeit zu verarbeiten und darzustellen“, sagt Professor Dr. Thomas Huser von der Fakultät für Physik der Universität Bielefeld. Huser ist Spezialist für biomedizinische Photonik, die sich mit der Entwicklung neuartiger Mikroskopieverfahren befasst. Gemeinsam mit seinem Team konstruiert und nutzt er hochauflösende Mikroskope und entwickelt die Software für die Bildverarbeitung. 

In Mikroskopen mit Sensoren wie dem SWIR-Operationsmikroskop muss das aufgenommene Bildsignal zuerst automatisiert analysiert und verarbeitet werden.

Damit das Operationsmikroskop die Kurzwellen-Infrarot-Signale darstellen kann, entwickeln Huser und sein Team eine eigene Software, die Licht außerhalb des Kurzwellen-Infrarot herausfiltert und eine dreidimensionale Ansicht der Aufnahme berechnet. „Außerdem muss die Software farbliche Kontraste erzeugen. Solche farblichen Markierungen machen zum Beispiel Nerven und Weichgewebe leicht voneinander unterscheidbar“, erklärt Huser. Die Software muss das Videobild in Echtzeit ausspielen, damit die Chirurg*innen im Operationssaal präzise arbeiten können und ohne Verzögerung sehen, was ihr Eingriff im Operationsfeld bewirkt. 

Studie mit dem neuen Mikroskop in Bielefelder Universitätsklinik

Bild der Person: Prof. Dr. med. Dr. Holger Sudhoff, Medizinische Fakultät OWL, Arbeitsgruppe 202 Hals-, Nasen- Ohrenheilkunde
Prof. Dr. med. Dr. Holger Sudhoff forscht am Universitätsklinikum OWL. Er wird das neue Operationsmikroskop am Klinikum Bielefeld einsetzen. Foto: Klinikum Bielefeld/S. Behrmann
Um das SWIR-Operationsmikroskop in der Praxis zu erproben, soll es im Projekt zunächst in der Be-handlung von Cholesteatomen – einer chronisch eitrigen Entzündung des Mittelohrs – eingesetzt werden. Getestet wird das Mikroskop in der Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie des Klinikums Bielefeld. An der Klinik werden bundesweit die meisten Cholesteatom-Operationen durchgeführt – 650 Eingriffe jährlich.

„Bleibt ein Cholesteatom unbehandelt, kann es zu ernsthaften Schäden führen“, sagt Professor Dr. med. Dr. Holger Sudhoff, Direktor der Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie des Klinikums Bielefeld und Mitglied der Medizinischen Fakultät OWL. „In so einem Fall zerstört die chronische Entzündung die drei Gehörknöchelchen mit der Folge, dass betroffene Personen auf dem Ohr schwerhörig werden“, erklärt Sudhoff. Im späten Stadium kann die Entzündung außerdem zur Lähmung der Gesichtsmuskulatur, Meningitis und Abszessen im Hirnschädel führen. Entstehen kann ein Cholesteatom, auch bekannt als Knocheneiterung, durch eine Mittelohrentzündung oder dadurch, dass das Trommelfell ins Mittelohr einwuchert.

Gängige Operationsmikroskope kommen an ihre Grenzen

Künstlerische Darstellung der chirurgischen Freilegung eines Cholesteatoms.
Das Mikroskop soll zunächst in der Behandlung von Cholesteatomen – einer Entzündung des Mittelohrs – erprobt werden. Diese Darstellung zeigt die chirurgische Freilegung eines Cholesteatoms. Foto: Bild: Holger Sudhoff
Für die Diagnose, in der Operation und in der Nachsorge werden in der Regel chirurgische Mikroskope eingesetzt, die lediglich den für Menschen sichtbaren Lichtbereich nutzen. „Sie helfen uns, festzustellen, ob sich ein bakterieller Biofilm gebildet hat“, sagt Sudhoff. Entzündet sich ein Cholesteatom durch Bakterien, wächst es schneller und schädigt die befallenen Knochen stärker. Wie stark sich die bakterielle Besiedlung ausgebreitet hat, ist mit den gängigen Mikroskopen aber oft nicht erkennbar, weil zum Beispiel Einblutungen den Biofilm verdecken.

Die Fachärzt*innen setzen zur Diagnose von Cholesteatomen außer Mikroskopie auch Computertomografie (CT) ein. Damit lässt sich eventuelle Flüssigkeit im Mittelohr aber nicht von einem Cholesteatom unterscheiden. Zur Vorbereitung einer Operation wird ebenfalls Magnetresonanztomografie genutzt. Sie liefert eine höhere Auflösung als die CT. Der Nachteil ist aber, dass sie die Details der Gehörknöchelchen ebenfalls nicht präzise genug darstellen kann. 

Mit Hilfe des Mikroskops bakteriellen Befall komplett beseitigen
Von dem neuen SWIR-Mikroskop erwarten die Projektverantwortlichen eine Reihe von Vorteilen. Dabei geht es besonders um die Fähigkeit des Mikroskops, durch Blut hindurch sehen zu können und bakteriell besiedeltes Gewebe, Knochen, Nerven und Weichgewebe unterscheidbar zu machen. „So erkennen Operateur*innen bereits während des Eingriffs, wo im Mittelohr sich noch verbleibende bakterielle Besiedlung befindet“, sagt der Projektkoordinator Dr. Hans Kiening von dem Medizintechnik-Unternehmen Munich Surgical Imaging (MSI). „Dadurch können sie infizierte Bereiche vollständig entfernen, die sonst dazu führen könnten, dass sich wieder ein Cholesteatom entwickelt.“ Von MSI stammt ein bereits in der Chirurgie eingesetztes Operationsmikroskop, das hochauflösende Aufnahmen liefert. Das neue Projekt baut auf dieser Entwicklung auf.

Bild des Operationsmikroskops Arriscope des Unternehmens Munich Surgical Imaging
Um das Kurzwellen-Infrarot-Mikroskops zu entwickeln, baut das Projekt auf dem Operationsmikroskop Arriscope des Unternehmens Munich Surgical Imaging auf. Das Gerät ist für alle Anwendungen in der Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie zugelassen. Foto: Munich Surgical Imaging
Weil das künftige SWIR-Mikroskop im Vergleich zu den gängigen Mikroskopen auch durch Weichgewebe hindurchsehen kann, sollen damit auch optisch verdeckte Stellen untersucht werden. Auf diese Weise lässt sich etwa erkennen, ob auch Knochenmaterial im Innenohr von Bakterien besiedelt oder beschädigt worden ist. Hinzu kommt, dass das Mikroskop die Sicherheit für die Patient*innen erhöhen soll. Denn wenn Operateur*innen das Ohrinnere präzise erkennen und unterscheiden können, sinkt das Risiko, dass durch den Eingriff empfindliche Strukturen wie der Gesichtsnerv oder das Labyrinth des Innenohrs verletzt werden.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Verbundprojekt BetterView als Teil der Förderinitiative „Photonische Verfahren zur Erkennung und Bekämpfung mikrobieller Belastungen“ mit 2,73 Millionen Euro (Förderziffer: 13N15827). Davon gehen 374.000 Euro an die Universität Bielefeld und 478.000 Euro an das Klinikum Bielefeld. Das Projekt läuft von Januar 2022 bis Dezember 2024. Das Medizintechnik-Unternehmen Munich Surgical Imaging (MSI) koordiniert den Verbund. Beteiligt sind zudem neben der Universität Bielefeld und dem Klinikum Bielefeld: der Helmholtz Pioneer Campus am Helmholtz Zentrum München, die Leibniz Universität Hannover, der Kamerasystem-Hersteller PCO AG und der Laser-Hersteller Omicron-Laserage Laserprodukte  GmbH.

Für die Forschung der Medizinischen Fakultät OWL spielen chronische Erkrankungen eine bedeutsame Rolle. Dabei handelt es sich um Krankheiten, die lange andauern und häufig schwer oder nicht vollständig heilbar sind. Chronische Erkrankungen gehören in Deutschland und den weiteren Industriestaaten zu den häufigsten Gesundheitsproblemen. Die Medizinische Fakultät OWL befasst sich mit ihnen als Teil ihres Forschungsprofils „Medizin für Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen“.

Weitere Informationen:

  • Projektsteckbrief im Portal Photonikforschung Deutschland
  • Website der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Thomas Huser
  • Website der Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie
  • Forschungsprofil der Medizinischen Fakultät OWL

Kontakt:
Prof. Dr. Thomas Huser, Universität Bielefeld
Fakultät für Physik
Telefon: 0521 106-5451
E-Mail: thomas.huser@physik.uni-bielefeld.de

Zimmer für Sommerdeutschkurs-Teilnehmende gesucht (Nr. 11/2022)

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Zimmer für Sommerdeutschkurs-Teilnehmende gesucht

Die Universität sucht in der Zeit vom 5. bis 31. August freie Zimmer für internationale Studie-rende. In dieser Zeit veranstaltet die Universität Sommerdeutschkurse, in denen die Studie-renden Deutschkenntnisse erwerben oder bereits vorhandenes Wissen verbessern können. Insgesamt werden 50 Zimmer gesucht. Die Unterkunft kann sich bei Privatpersonen, Familien oder in WGs befinden. Sie sollte in Bielefeld und möbliert sein. Die Gastgeber*innen erhalten für ihre Zimmer eine Aufwandsentschädigung. Die Teilnahme am Sommerdeutschkurs 2022 ist ausschließlich für vollständig gegen SARS-CoV-2 (Corona-Virus) geimpfte Personen oder für Genesene möglich. Weitere Informationen

Wie Mütter und Neugeborene in der Pandemie versorgt sind (Nr. 12/2022)

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Bielefelder Gesundheitswissenschaftlerinnen mit europaweiter Studie

Die Corona-Pandemie stellt Gesundheitssysteme vor Herausforderungen, auch bei Schwangerschaften und Geburten. Wie gut die Gesundheitsversorgung von Müttern und Neugeborenen in Europa ist, haben Wissenschaftlerinnen der Universität Bielefeld als Mitglieder eines internationalen Forschungsteams untersucht. Dazu haben die Forschenden 21.027 Frauen aus zwölf Ländern befragt, die während der Corona-Pandemie ein Kind zur Welt gebracht haben. Das Ergebnis: Innerhalb Europas gibt es große Ungleichheiten – und in allen untersuchten Ländern Verbesserungsbedarf. Die Studie ist im Fachmagazin „The Lancet Regional Health Europe“ erschienen. Sie entstand in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Dr. Céline Miani, Fakultät für Gesundheitswissenschaften / AG 3 Epidemiologie & International Public Health;
Lisa Wandschneider, Fakultät für Gesundheitswissenschaften / AG 3 Epidemiologie & International Public Health;
Stephanie Batram-Zantvoort, Fakultät für Gesundheitswissenschaften / AG 3 Epidemiologie & International Public Health
Dr. Céline Miani, Lisa Wandschneider und Stephanie Batram-Zantvoort (v.l.) sind Teil des internationalen Forschungsnetzwerks Imagine Euro. Fotos: Universität Bielefeld
„Unsere Befragung zeigt, dass die Geburtshilfe an einigen Stellen Lücken hat“, sagt Dr. Céline Miani von der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld. Die Wissenschaftlerin forscht in der Arbeitsgruppe „Epidemiologie und International Public Health“ und ist Mitautorin der Studie. 62 Prozent der befragten Frauen mit Wehen durften zum Beispiel während oder nach der Geburt nicht von einer Person ihrer Wahl begleitet werden. 41,8 Prozent berichteten von Schwierigkeiten, während der Schwangerschaft Zugang zu Untersuchungen zu bekommen. 31,1 Prozent der Frauen fühlten sich nur unzureichend beim Stillen unterstützt.

Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den untersuchten europäischen Ländern: Während Länder wie Luxemburg, Spanien, Schweden, Frankreich und Deutschland vergleichsweise gut abschneiden, ist die Gesundheitsversorgung in Serbien, Rumänien oder Kroatien deutlich schlechter. Auch Frauen, die einen Kaiserschnitt hatten, erlebten eine schlechtere Behandlung.

„Unsere Studie ist die erste großangelegte, multinationale Studie zur Corona-Pandemie, die untersucht, wie Frauen die Gesundheitsversorgung während Schwangerschaft und Geburt wahrnehmen“, sagt Miani. Auf der Grundlage von WHO-Qualitätskriterien für die Geburtshilfe entwickelte das Forschungsteam einen Fragebogen für zwölf europäische Länder. 21.027 Frauen, die zwischen März 2020 und März 2021 entbunden hatten, gaben Auskunft dazu, wie sie die Gesundheitsversorgung wahrgenommen und welche pandemiebezogenen Besonderheiten sie erlebt haben. 

Die Erhebung zeigt, wo es Handlungsbedarf gibt

Farbiges Diagramm zur Qualität der Gesundheitsversorgung von Müttern und Neugeborenen
Die Qualität der Gesundheitsversorgung von Müttern und Neugeborenen: Je weiter rechts ein Land angeordnet ist, desto besser ist die Gesundheitsversorgung aus der Perspektive der Mütter. Bild: IMAgiNE EURO/The Lancet Regional Health Europe Foto: Bild: IMAgiNE EURO/The Lancet Regional Health Europe
„Wir können mit unserer Studie zwar keine Vergleiche dazu ziehen, wie gut Schwangere und Frauen im Wochenbett vor der Pandemie versorgt waren. Unsere Erhebung zeigt aber, wo aktuell Handlungsbedarf besteht“, sagt Miani. Auf Basis der Studie können Maßnahmen entwickelt werden, um die ungleiche Gesundheitsversorgung – auch unabhängig von der Pandemie – zu verbessern. Ein Beispiel für eine verbesserungswürdige Behandlung ist der Kristeller-Handgriff (Fundusdruck): Dabei wird durch Druck auf der Bauchdecke versucht, die Geburt zu beschleunigen. Weil die Methode mit Risiken verbunden und kaum wirksam ist, warnt die WHO vor ihrer Anwendung. „Unsere Studie zeigt aber, dass die Methode in vielen Fällen benutzt wird. In den Ländern, in denen das besonders häufig passiert, können dann klare Leitlinien helfen, die den Kristeller-Handgriff nicht empfehlen“, sagt Miani.

Die Studie ist Teil des Projekts Imagine Euro, das vom Institut Burlo Garofolo in Triest (Italien) koordiniert wird, einem Kollaborationszentrum der WHO. Für das Projekt arbeiten mehr als zehn europäische Länder interdisziplinär zusammen: In dem Forschungsnetzwerk sind zum Beispiel Epidemiolog*innen oder Demograf*innen organisiert, aber auch Ärzt*innen und Geburtshelfer*innen. „Unser Ziel ist, die Erfahrungen sowohl der Gebärenden als auch des beteiligten Gesundheitspersonals besser zu verstehen“, so Miani, die mit ihren Bielefelder Kolleginnen Stephanie Batram-Zantvoort und Lisa Wandschneider in dem Netzwerk forscht. Das Projekt ist 2019 gestartet und läuft noch bis Ende 2022. In weiteren Studien wollen die Wissenschaftler*innen zum Beispiel einen detaillierteren Blick auf einzelne Länder werfen oder verschiedene Phasen der Pandemie beleuchten.

Miani und ihre Bielefelder Kolleginnen arbeiten für den deutschen Teil des Projekts. Die Wissenschaftlerinnen beschäftigen sich zum Beispiel mit der Medikalisierung von Geburten oder Gewalterfahrungen bei der Geburt, oder untersuchen an Berichten aus sozialen Medien, welche Erfahrungen Mütter bei der Geburt gemacht haben. „Eine schlechte Versorgung kann schwerwiegende Konsequenzen für die körperliche sowie mentale Gesundheit von Müttern und ihren Kindern haben“, sagt Miani. 

Ein Beitrag zur Gesundheit von Eltern und Neugeborenen
Die Bielefelder Forscherinnen greifen für ihre Untersuchung auf Erfahrungen in der Genderepidemiologie oder Versorgungsforschung zurück. Für die Langzeitstudie BaBi hat Miani zum Beispiel die Gesundheit von Babys und Kindern in Bielefeld untersucht. „Wir hoffen, mit unserer Forschung einen Beitrag zur Gesundheit von Eltern und Neugeborenen zu leisten“, sagt Professor Dr. Oliver Razum, der die Arbeitsgruppe „Epidemiologie und International Public Health“ leitet.

Originalveröffentlichung:
Marzia Lazzerini et al.: Quality of facility-based maternal and newborn care around the time of childbirth during the COVID-19 pandemic: online survey investigating maternal perspectives in 12 countries of the WHO European Region. The Lancet Regional Health Europe, https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2021.100268, am 24. Dezember 2021 online veröffentlicht, in der Printausgabe im Februar 2022 erschienen.

Kontakt:
Dr. Céline Miani, Universität Bielefeld
Fakultät für Gesundheitswissenschaften
Telefon: 0521 106-12766
E-Mail: celine.miani@uni-bielefeld.de

Universität Bielefeld: Das ist der Stand auf dem Campus Süd (Nr. 13/2022)

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Rückblick auf 2021, Ausblick auf 2022

Auf dem Gelände der Universität Bielefeld zwischen Universitätshauptgebäude und Werther Straße entsteht der Campus Süd. Das Standortkonzept, das im Dezember 2019 veröffentlicht wurde, hat die Universität bisher zu großen Teilen während der Pandemie umgesetzt. „Die Umsetzung des Standortkonzepts mit insgesamt acht Neu- und Umbauten ist eine fantastische Chance für die Universität Bielefeld und gleichzeitig aufgrund der Rahmenbedingungen eine große Herausforderung. Der aktuelle Entwicklungsstand bei den Bauprojekten ist im Zeitplan – eine enorme Leistung aller Beteiligten“, berichtet Kanzler Dr. Stephan Becker stolz. Ein Zwischenstand entlang der Morgenbreede und der Konsequenz.


Übersichtsplan Campus Süd, Plan: Universität Bielefeld
Übersichtsplan Campus Süd, Plan: Universität Bielefeld

Die ersten Universitätsgebäude am Beginn der Morgenbreede


Das Gebäude R1

Im Herbst 2021 wurde der Lehrbetrieb der Medizinischen Fakultät an der Universität Bielefeld offiziell aufgenommen. Erstmals für die Lehre genutzt wird seither das Gebäude R1, hier ha-ben die neuen Studierenden der Medizinischen Fakultät OWL ihr Studium begonnen. Das Gebäude hatte die Universität zunächst angemietet und Ende 2020 gekauft. Es steht nun fast vollständig der Medizinischen Fakultät für Lehre, Forschung und Verwaltung zur Verfügung. Ein zentraler Bereich in R1, der extra für den Studienstart umgebaut wurde, ist das sogenann-te Skills Lab. Dort haben die Medizinstudierenden die Möglichkeit, sowohl ihre kommunikati-ven Kompetenzen zu schulen als auch praktische ärztliche Fertigkeiten in einer geschützten Umgebung zu erlernen.

Das Gebäude R2

R2 soll in den nächsten Monaten eröffnet werden. Foto Universität Bielefeld/P. Pollmeier
R2 soll in den nächsten Monaten eröffnet werden. Foto Universität Bielefeld/P. Pollmeier
Nach und nach entstehen auf dem Campus mehrere Gebäude: In direkter Nachbarschaft zu R1 entsteht R2, das erste Gebäude auf dem Campus Süd, das speziell für die Medizinische Fakultät errichtet wurde. R2 verfügt über fünf Geschosse und teilt sich in einen Bürotrakt für rund 120 Beschäftigte und einen Labortrakt mit 45 Laboren, mit einem Erschließungskern in der Mitte. Im April 2021 wurde mit dem Bau begonnen, im April 2022 soll das Gebäude eröffnet werden.

Bau-Informationen: Neubau R2: Anlieferung der ersten Module (uni-bielefeld.de)


Neue Gebäude für Forschung und Lehre entstehen


Das Gebäude R5 und das Anatomiegebäude R6 sind am zentralen Platz des neuen Campus Süd geplant und werden das Herzstück für die medizinische Lehre bilden. Bei beiden Gebäu-den ist der Planungsprozess schon recht weit vorangeschritten. Der Baubeginn der Gebäude wird bei R5 Ende dieses Jahres und bei R6 zu Beginn kommenden Jahres erwartet.

Lehrgebäude Medizin und Fakultät für Biologie R5

Im September 2021 hat die Universität für den Neubau R5 ein Generalplanungsbüro beauf-tragt und damit die Planungsphase begonnen. Das Gebäude bietet Platz für Lehrflächen der Medizinischen Fakultät sowie Flächen der Fakultät für Biologie. Aktuell wird die bauliche und technische Detailplanung erarbeitet. Noch im Jahr 2022 sollen die ersten Arbeiten vor Ort zu sehen sein. In dem Gebäude, das zukünftig an einem zentralen Campusplatz liegen wird, ist außerdem ein Gastronomieangebot geplant.
Visualisierung Gebäude R5, Architekturbüro-HDR
Visualisierung Gebäude R5, Architekturbüro-HDR
Bau-Informationen: Entwurf des Gebäudes R.5 mit heller Fassade und viel Grün (uni-bielefeld.de)
Bau-Informationen: Neubau R.5 startet in die nächste Phase (uni-bielefeld.de)

Anatomiegebäude R6

Im Mai 2021 hatte die Universität für das zukünftige Anatomiegebäude R6 einen Generalpla-ner gefunden. Im November hatten sich die Planungen konkretisiert und erste Visualisierun-gen zeigen, wie das künftige Gebäude aussehen wird. Im Erd- und Untergeschoss befindet sich ein Hörsaal für rund 300 Personen. In den darüber liegenden Ebenen befinden sich Prakti-kums- und Seminarräume sowie die Prosektur, die Präparation und die Histologie. Anfang 2023 soll der Bau beginnen.
Visualisierung Gebäude R6, Generalplanungsbüro-agn
Visualisierung Gebäude R6, Generalplanungsbüro-agn
Bau-Information: R6 - Universität Bielefeld (uni-bielefeld.de)
Bau-Informationen: Wichtiger Schritt für Anatomiegebäude R6 (uni-bielefeld.de)
Bau-Informationen: So sieht das neue Anatomie-Gebäude aus (uni-bielefeld.de)


Tierhaus R7

Die Planungsphase für das Tierhaus R7 hat begonnen: Anfang Januar ist das Architekturbüro HDR Germany mit der Generalplanung beauftragt worden. Das Gebäude wird zukünftig als Ersatzneubau für die Verhaltensforschung der Biologie und für die medizinische Forschung genutzt. In den kommenden Monaten wird die bauliche und technische Detailplanung erar-beitet. Anfang nächsten Jahres sollen die ersten Arbeiten vor Ort zu sehen sein. Die Fertigstel-lung des Gebäudes ist für 2025 geplant.
Bau-Informationen: Generalplaner für Tierhaus R7 beauftragt (uni-bielefeld.de)


Ein Campus für alle


Auf dem Campus Süd befinden sich wichtige Gebäude für alle Studierenden, wie zum Beispiel das Hörsaalgebäude Y. „Alle Studierenden und Mitarbeitenden werden von der Campuserwei-terung profitieren“, betont der Kanzler der Universität.

Zentraler Platz und Treppe

Auf dem Campus Süd soll nicht nur gearbeitet und studiert werden, der Campus soll auch eine hohe Aufenthaltsqualität für Beschäftigte und Studierende bieten. Neben den geplanten Gebäuden legt die Universität daher auch Wert auf die Außenanlagen auf dem neu erschlossenen Teil des Campus. Seit Juni 2021 gibt es Entwürfe für die zukünftigen Außenanlagen auf dem Campus Süd von einem Hamburger Landschaftsarchitekturbüro.
Visualisierung “Große Treppe“, Landschaftsarchitekturbüro WES
Visualisierung “Große Treppe“, Landschaftsarchitekturbüro WES
Zentrales Element der Außenanlagen wird ein neuer Aufenthaltsplatz sein, der sich zwischen den Neubauten R5 und R6 sowie dem Hörsaalgebäude Y und der Experimentalphysik erstreckt. Von der Konsequenz hoch auf den zentralen Platz führt eine große Treppe. Die Namen für Wege, Straßen und Plät-ze auf dem Campus Süd sollen an das Konzept des Campus Bielefeld angepasst werden.
Bau-Informationen: Grünflächen, ein zentraler Platz und eine hohe Aufenthaltsqualität (uni-bielefeld.de)

Hörsaalgebäude Y

Im September 2020 wurde das neue Hörsaalgebäude Y eingeweiht, einen Tag vor der Eröff-nung der Medizinischen Fakultät OWL. Das neue Hörsaalgebäude in unmittelbarer Nähe zum Universitätshauptgebäude ersetzt das vorübergehend geschlossene Audimax und trägt dazu bei, den wachsenden Bedarf an Lehrflächen der Universität zu decken.
Pressemitteilung: Universität Bielefeld eröffnet neues Hörsaalgebäude

Gebäude Z

Bereits im Dezember 2020 wurde die Erweiterung des Gebäudes Z an der Konsequenz fertiggestellt. Im Zuge der Erweiterung wurden die bestehenden zwei Gebäudeteile vergrößert so-wie hangaufwärts ein dritter Gebäudeteil hinzugefügt. Das Gebäude Z wird hauptsächlich von der Fakultät für Erziehungswissenschaft genutzt, in Teilen aber auch von der Medizini-schen Fakultät.
Aktuell-Blog: Gebäude Z jetzt doppelt so groß (uni-bielefeld.de)


Weitere geplante Baumaßnahme
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Die Gebäude R3 (Seminar- und Bürogebäude), R4 (Neubau Bürogebäude) und R8 (Forschungs-gebäude Medizin) sind noch in sehr frühen Planungsphasen.

Verkehrslogistik

Seit Januar 2021 können Baustellen- und Lieferfahrzeuge eine neue Baustraße nutzen. Lang-fristig soll hier eine neue Buslinie den Campus Süd verkehrstechnisch anbinden.

Bau-Informationen: Baustraße für Baustellen- und Lieferverkehr freigegeben (uni-bielefeld.de)
Seit November 2021 wird eine zweite Baustraße errichtet, über die die künftigen Baufelder von unter anderem R5 und R6 erschlossen werden sollen. Diese Straße soll nach Abschluss der Bau-arbeiten als Zufahrt für die neuen Gebäude dienen.

Bau-Informationen: Straßenerweiterung - "Entwicklungsgang" hat begonnen (uni-bielefeld.de)


Weitere Informationen:
• Meldung vom 18. Oktober 2020: Campus Süd: Der aktuelle Stand der Baumaßnahmen
• Meldung vom 20. Dezember 2019: Standortkonzept für den Campus Süd der Universität Bielefeld steht

Landesrunde 2022 der Deutschen Mathematik-Olympiade an der Universität Bielefeld (Nr. 14/2022)

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Mehr als 350 Schüler*innen freuen sich auf einen spannenden Wettbewerb am 26. Februar 2022

Am Samstag, 26. Februar 2022, werden die besten Nachwuchsmathematiker*innen Nordrhein-Westfalens in der Universität Bielefeld ermittelt. Die qualifizierten 351 Schüler*innen aus weiterführenden Schulen können sich im Rahmen der Landesrunde 2022 der Deutschen Mathematik-Olympiade auf interessante und herausfordernde Aufgaben freuen, die sie in zweieinhalb- bis dreistündigen Klausuren bearbeiten werden. 20 Workshops am Nachmittag mit Angeboten wie „Bau von Photovoltaikzellen“, „Japanisch Schnupperkurs“ oder einen Vortrag über Gravitationswellen runden das Tagesprogramm ab. Die Arbeiten der Schuler*innen werden von über 100 Lehrkräften aus ganz Nordrhein-Westfalen und ehemaligen Teilnehmer*innen der Landesrunde korrigiert.

Nach 2001 und 2014 ist Bielefeld in diesem Jahr mit der Universität Bielefeld wieder Gastgeber der Landesrunde der Deutschen Mathematik-Olympiade. Keine andere Kommune in NRW hat diesen Wettbewerb häufiger ausgetragen. Über die Schulrunde mit circa 16.000 Teilnehmenden und den Regionalrunden mit rund 6.000 Teilnehmenden qualifizieren sich jedes Jahr circa 350 Schüler*innen für den Landesentscheid. Die Nachwuchsmathematiker*innen erhalten in der Regel drei Aufgaben, für deren Bearbeitung sie je nach Jahrgangsstufe 2,5 bis 3 Stunden Zeit haben. Die 14 besten Teilnehmenden ab Klasse 8 qualifizieren sich für die Bundesrunde.

Der Wettbewerbstag wird vor Ort von einem Team aus Professor Dr. Jürgen Schnack (Fakultät für Physik), Dr. Guido Elsner (Fakultät für Mathematik) und OStR’in Vera Linn (Gymnasium Steinhagen), unterstützt durch Helmut Meier vom Landesverband, organisiert. Nach den Klausuren und einem Mittagessen in der Mensa wird für alle Schüler*innen ein Nachmittagsprogramm angeboten, für das sich Wissenschaftler*innen aus vielen Bereichen der Universität spannende Themen ausgedacht haben.

Neben der Förderung durch das NRW-Schulministerium wird die Mathematik-Olympiade von der Osthushenrich-Stiftung aus Gütersloh finanziell unterstützt, die in Ostwestfalen einen besonderen Fokus auf Begabtenförderung hat. Auch die Universitätsgesellschaft Bielefeld engagiert sich finanziell. Die Sparkasse Bielefeld unterstützt den Wettbewerb ebenfalls; das Unternehmen engagiert sich in Bielefeld im Bereich mathematischer Begabtenförderung schon seit vielen Jahren.

Der Landesverband Mathematikwettbewerbe e.V. führt seit fast 30 Jahren in Nordrhein-Westfalen die Deutsche Mathematik-Olympiade durch und unterstützt weitere mathematische Wettbewerbe. Er will nicht nur Talente finden, sondern auch fördern und lädt die Preisträger der Landesrunde zu einer einwöchigen Sommerakademie ein, für die sie vom Schulunterricht befreit werden. Zusätzlich finden eine Reihe von regionalen und überregionalen Wochenendveranstaltungen statt, an der jährlich circa 800 Schülerinnen und Schüler teilnehmen. 


Tarnung oder Kommunikation: Wozu Vögel ihren Geruch nutzen (Nr. 15/2022)

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Biolog*innen untersuchten, wozu Veränderungen des Bürzelöls dienen

Welche Sinne nutzen Vögel? Offensichtlich gebrauchen sie Gehör und Augen – schließlich singen sie und tragen oft ein buntes Gefieder. Was aber ist mit dem Geruchssinn? Lange Zeit gab es die Ansicht, Riechen spiele für Vögel keine Rolle. In den vergangenen Jahren ist aber eine Reihe von Arbeiten entstanden, die diese Annahme widerlegen – darunter Forschungen, die sich mit dem Sekret aus der Bürzeldrüse befassen, mit dem Vögel sich mehrmals am Tag ihr Gefieder einschmieren. Was es mit Veränderungen in dessen Zusammensetzung auf sich haben könnte und welche Rolle der Geruch dabei spielt, haben Wissenschaftler*innen unter anderem der Universität Bielefeld untersucht. Ihre Studie wurde am 6. Februar in der Fachzeitschrift Biological Reviews veröffentlicht.

Die meisten Vogelarten besitzen an der Wurzel ihres Schwanzes eine besondere Drüse: die Bürzeldrüse. Sie sondert ein öliges Sekret ab, das die Vögel mehrmals am Tag mit dem Schnabel auf ihrem Gefieder verteilen. Das Sekret der Drüse dient unter anderem dazu, das Gefieder zu pflegen, es zu fetten und wasserabweisend zu machen – und es könnte noch weitere Funktionen haben, über die bisher wenig bekannt ist.

Wie sich dieses Sekret zusammensetzt, unterscheidet sich nicht nur zwischen verschiedenen Vogelarten, sondern oft auch innerhalb einer Art. „Eine Beobachtung war für uns entscheidend: Bei fast allen Vogelarten treten jahreszeitliche Veränderungen auf“, sagt Marc Gilles, Doktorand in der Arbeitsgruppe Verhaltensökologie an der Fakultät für Biologie der Universität Bielefeld. 

Prof. Dr. Barbara Caspers und Marc Gilles, Bild der Personen
Prof’in Dr. Barbara Caspers und Marc Gilles haben sich mit dem Bürzelöl von Vögeln befasst. Sie haben 187 Studien gesichtet, um mehr darüber herauszufinden, warum sich die Zusammensetzung des Öls im Jahresverlauf verändert. Foto: Universität Bielefeld/S. Jonek
Veränderungen beim Bürzelöl während der Paarungszeit 

 Gilles hat gemeinsam mit weiteren Forschenden insgesamt 187 Studien gesichtet und 55 Studien ausgewertet, die sich mit dem Bürzelöl und seiner Zusammensetzung befassen. „Wir wollten herausfinden, warum es zu Veränderungen kommt und welche Bedeutung sie haben.“ Bei 47 Prozent der Arten stellten die Forschenden einen Unterschied zwischen den Geschlechtern fest. „Wenn wir Unterschiede zwischen den Geschlechtern gefunden haben, traten diese vor allem während der Paarungszeit auf“, sagt der Biologe.

Durch Geruch die eigenen Nachkommen tarnen

Warum verändert sich die Zusammensetzung des Sekrets? „Eine Hypothese ist, dass das Bürzelöl eine Schutzfunktion während der Brutzeit hat“, sagt Gilles. Es könnte dazu dienen, ein Nest geruchlich zu tarnen und es so besser vor denjenigen Räubern zu schützen, die sich bei der Jagd am Geruch orientieren. Für diese Annahme spricht es, dass sich Unterschiede insbesondere während der Brutzeit finden lassen – und zwar vor allem bei dem Geschlecht, das brütet. Besonders deutlich traten solche jahreszeitlichen Unterschiede bei Bodenbrütern, etwa wie Küstenvögeln, auf. „Bodenbrüter sind gegenüber Räubern wie Füchsen, die sich am Geruch orientieren, natürlich besonders gefährdet, weil ihr Nest so leicht zugänglich ist“, sagt Gilles. „Eine geruchliche Tarnung würde hier höhere Überlebenschancen für die Jungtiere bedeuten.“

Mit Geruch bei der Fortpflanzung kommunizieren

Eine andere Möglichkeit ist, dass das Bürzelöl und seine veränderte Zusammensetzung eine soziale Funktion hat: Das Sekret könnte einem Vogel etwa signalisieren, welches Geschlecht ein Artgenosse hat – und ob er ein geeigneter Partner wäre, um sich fortzupflanzen. Die Zusammensetzung könnte demnach Aufschluss darüber geben, wie gut zwei Tiere genetisch miteinander harmonieren, um gesunden Nachwuchs zu zeugen. „Denkbar ist auch, dass der Geruch dazu dient, dass Eltern und Jungtiere sich wechselseitig erkennen“, sagt Gilles. Dafür lieferten die gesichteten Studien etliche Belege. So zeigen Studien, dass das Öl insbesondere bei Sperlingsvögeln in der Brutzeit flüchtiger wird und Vögel die Duftstoffe nutzen könnten, um mit gleichgeschlechtlichen Artgenossen zu konkurrieren.

Bild von zwei Vögeln
Vogel nutzen zum Putzen das Öl aus ihrer Bürzeldrüse. Dieses hilft nicht nur dabei, das Gefieder zu pflegen, sondern hat noch weitere Funktionen für die Tiere: Es könnte etwa dazu dienen, Gelege besser zu tarnen und Fortpflanzungspartner anzuziehen. Foto links: Hayley Crews, Foto rechts: Oliver Krüger 
„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die vorhandenen Studien diese Hypothesen unterstützen“, sagt auch Professorin Dr. Barbara Caspers, die die Studie betreut hat. Sie leitet die Arbeitsgruppe Verhaltensökologie und untersucht seit mehreren Jahren den Geruchssinn bei Singvögeln. In ihren Studien konnte sie zeigen, dass zumindest einige Vögel einen gut ausgeprägten Geruchssinn haben und diesen tatsächlich auch einsetzen, um miteinander zu kommunizieren. Die jetzt veröffentlichte Studie lässt die Vermutung zu, dass es vielleicht ein generelleres Phänomen ist. „Es liegen allerdings aktuell leider nicht genügend Daten vor, um die Hypothesen weiter zu prüfen.“ Die Forschenden geben deshalb Empfehlungen, um die Datenlagen zu verbessern.

Um die Annahme zu überprüfen, ob ein verändertes Sekret dem Schutz während der Brutzeit dient, fehlen etwa Studien über die Fähigkeiten von Raubtieren, verschiedene Zusammensetzungen des Öls zu erkennen. In den meisten Studien ist außerdem bislang nur aufgeschlüsselt worden, dass es Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt – aber nicht, worin diese genau bestehen. „Zusätzliche Informationen über die Art der Unterschiede könnten helfen, die beiden Hypothesen voneinander zu trennen“, sagt Caspers. Darüber hinaus ist bislang nicht klar, inwieweit Eltern das Sekret auch auf den Nachwuchs übertragen. „Auch dazu ist weitere Forschung nötig“, sagt Barbara Caspers. Unklar ist vielfach auch, in welchen Brutphasen Veränderungen auftreten und ob Vögel in der Lage sind, das Geschlecht von Artgenossen am Geruch zu unterscheiden.

In der aktuellen Studie weisen die Wissenschaftler*innen darauf hin, worauf bei künftigen Untersuchungen zum Bürzeldrüsenöl zu achten ist. „In den ausgewerteten Studien wird nur selten angegeben, welches Geschlecht Veränderungen aufweist. Auch wird nur selten im Detail erläutert, welche Chemikalien sich verändert haben“, sagt die Wissenschaftlerin. Wenn Geschlechtsunterschiede von Interesse sind, sollten Forschende Proben während der Brutzeit nehmen und auch die verschiedenen Brutphasen von Paarbildung bis Brutpflege erfassen. Außerdem wäre es wichtig, mehr Vogelordnungen in die Studien mit einzubeziehen: Für die Hypothese zur geruchlichen Tarnung beispielsweise wurden bislang vor allem Küstenvögel untersucht. „Auf diese Weise würden wir tiefere Einblicke in die Rolle der chemischen Maskierung und der chemischen Signalgebung bei Vögeln gewinnen“, sagt Caspers.

Originalveröffentlichung:
Leanne A. Grieves, Marc Gilles, Innes C. Cuthill, Tamás Székely, Elizabeth MacDougall-Shackleton and Barbara A. Caspers (2022), Olfactory camouflage and communication in birds. Biological Reviews, https://doi.org/10.1111/brv.12837, erschienen am 6. Februar 2022.

Weitere Informationen:

Website der Arbeitsgruppe Verhaltensökologie
Website von Prof’in Dr. Barbara Caspers

Kontakt:
Marc Gilles, Universität Bielefeld
Fakultät für Biologie
Telefon: 0521 106-2193
E-Mail: marc.gilles@uni-bielefeld.de

Neue Himmelskarte eröffnet Sicht auf 4,4 Millionen Galaxien (Nr. 16/2022)

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Radioastronomie: Forschungsteam veröffentlicht riesigen Datensatz

Ein internationales Forschungsteam von rund 100 Astronom*innen aus 14 Ländern hat eine neue Himmelskarte mit 4,4 Millionen Galaxien veröffentlicht. Sie alle wurden erstmals im Radiowellenbereich sichtbar gemacht. Eine Million dieser Galaxien war zuvor sogar vollkommen unbekannt. Sieben Jahre lang sammelte das Team, an dem auch die Universität Bielefeld beteiligt ist, Daten mit dem europäischen Radioteleskop LOFAR (Low Frequency Array). Die Forschenden kartierten ein Viertel des nördlichen Himmels im Radiowellenbereich. Jetzt, da dieser Datenschatz der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, kann jede*r die exotischsten Wunder des Universums in einem völlig neuen Licht betrachten.


Überreste einer Supernova, Cygnusbogen genannt
Die Überreste einer Supernova, Cygnusbogen genannt, sind hier im Radio-, UV- und Röntgenbereich gezeigt. Sie befinden sich in der Milchstraße. Dorthin wird sich der Blick von LOFAR in Zukunft wenden. Das Radioteleskop beginnt gerade, unsere eigene Galaxie zu erforschen. Foto: Jennifer West
Die meisten Objekte in der neuen Himmelskarte sind Milliarden Lichtjahre entfernt. In der Regel handelt es sich um Galaxien, die in ihrem Zentrum massereiche Schwarze Löcher oder Gebiete sehr starker Sternbildung beherbergen. Seltener sind auch Gruppen von kollidierenden Galaxien und Objekte aus unserer eigenen Milchstraße, wie Sterne mit Strahlungsausbrüchen, sogenannte Flare-Sterne.

Datensatz hat eine Größe von acht Petabyte

Mit dem Datensatz ließen sich die Festplatten von ungefähr 20.000 Laptops füllen. Er ist acht Petabyte groß und umfasst Aufnahmen von 3.500 Beobachtungsstunden. Das sind 27 Prozent der Daten, die dieses LOFAR-Projekt insgesamt erheben wird. Die Forschenden sind sicher, dass sich daraus noch viele neue Erkenntnisse ergeben werden. So ermöglichen es die Messungen zum Beispiel zu erforschen, wie Schwarze Löcher entstehen oder welche physikalischen Prozesse der Entstehung von Sternen zugrunde liegen.

Die LOFAR-Daten stehen Forschenden weltweit für die weitere Auswertung zur Verfügung und wurden auch in den vergangenen Jahren bereits von zahlreichen Gruppen für die wissenschaftliche Arbeit genutzt. An der Universität Bielefeld arbeitet die Arbeitsgruppe Astroteilchen und Kosmologie von Professor Dr. Dominik Schwarz mit diesen Daten. Die Bielefelder Forschenden beschäftigen sich vor allem mit der Verteilung der Radiogalaxien im Universum. „Die Verknüpfung der neuen LOFAR-Daten mit Beobachtungen derselben Galaxien im sichtbaren und infraroten Licht wird uns neue Einblicke in die Eigenschaften der noch unverstandenen dunklen Energie und neue Einsichten zur Entstehung von Galaxien und noch größeren Strukturen im Universum liefern“, sagt Dominik Schwarz.

Zum Radioteleskop gehören 52 Stationen in Europa

Die Jellyfish-Galaxie NGC 4858 im sichtbaren Licht und Radiowellenbereich
Die Jellyfish-Galaxie NGC 4858 im sichtbaren Licht und Radiowellenbereich: Sie verdankt ihre Bezeichnung der Tatsache, dass sie durch ein dichtes Medium fliegt, das Material aus der Galaxie abstreift, sodass ein Schweif entsteht. Foto: Ian Roberts
Das LOFAR-Teleskop, durch das die neuen Entdeckungen möglich wurden, ist das größte Radioteleskop, das je gebaut wurde. Die Empfängerstationen des Teleskops sind über acht Länder in Europa verteilt. Mehrere deutsche Institute des German Long Wavelenght (GLOW) Konsortiums betreiben sechs LOFAR-Stationen in Deutschland. Zu den sechs Stationen in Deutschland gehört das Empfangsfeld in Norderstedt nahe Hamburg. Es wurde von der Arbeitsgruppe von Dominik Schwarz von der Universität Bielefeld in Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Professor Dr. Marcus Brüggen von der Sternwarte in Hamburg geplant und wird heute von den Hamburger und Bielefelder Wissenschaftler*innen betrieben. 192 Antenneneinheiten, bestehend aus über 3.000 Einzelantennen empfangen die Signale aus dem Weltall. Die 52 LOFAR-Stationen in Europa sind über ein Hochgeschwindigkeits-Glasfasernetz miteinander verbunden. Von leistungsstarken Supercomputern werden ihre Messsignale zu einem einzigen Signal kombiniert.

Gefördert werden die technische Entwicklung und die Forschung mit den LOFAR-Daten in Deutschland von der Max-Planck-Gesellschaft, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, den zuständigen Ministerien der beteiligten Bundesländer, darunter das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, und von der Europäischen Union. Die umfangreichste Förderung kommt vom BMBF – aktuell durch die Co-Finanzierung des Verbundprojekts „D-LOFAR IV - Eine deutsche Beteiligung am Internationalen LOFAR-Teleskop“, an dem die Universität Bielefeld beteiligt ist.

Originalveröffentlichung:
Timothy Shimwell et al: The LOFAR Two-metre Sky Survey (LoTSS). V. Second data release. Astronomy & Astrophysics, https://doi.org/10.1051/0004-6361/202142484, online erschienen am 25. Februar 2022.

Weitere Informationen:
•    Website zu den LOFAR-Himmelsdurchmusterungen
•    „Unbekannte Galaxien per Mausklick erforschen“(Pressemitteilung vom 26. Februar 2020)
•    „Neue Himmelskarte veröffentlicht“ (Pressemitteilung vom 19. Februar 2019)

Wal-Galaxie NGC 4631 in drei ver-schiedenen Wellenlängenbereichen
Die Wal-Galaxie NGC 4631 in drei verschiedenen Wellenlängenbereichen: Die Sternentstehung in der Galaxie produziert heißes Gas, das im Röntgenbereich sichtbar ist (blau), sowie hochenergetische Teilchen, die sich im Radiobereich offenbaren (orange). In der Mitte überlagert gezeigt ist ein Bild der Galaxie im Bereich des sichtbaren Lichts. Foto: Volker Heesen und Michael Stein
Der Coma-Cluster ist 300 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt und besteht aus mehr als 1.000 Galaxien
Der Coma-Cluster ist 300 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt und besteht aus mehr als 1.000 Galaxien, die hier im Radio- und Infrarot-Bereich gezeigt sind. Die Radiodaten machen die Strahlung von hochenergetischen Teilchen sichtbar, die den Raum zwischen den Galaxien durchdringen. Foto: Annalisa Bonafede


Bild zeigt die Kollision zweier gigantischer Galaxiencluster
Jeder Quadrant in diesem Bild zeigt die Kollision zweier gigantischer Galaxiencluster. Jeder der Cluster besteht aus Hunderten oder Tausenden von Galaxien. Diese energiereichen Ereignisse sind die seltensten seit dem Urknall. Foto: Andrea Botteon
Prof. Dr. Dominik Schwarz, Fakultät für Physik , Bild der Person
Der Astrophysiker Prof. Dr. Dominik Schwarz von der Universität Bielefeld nutzt die LOFAR-Daten, um die Entstehung von Galaxien und ihre Verteilung im Universum zu erforschen. Foto: Universität Bielefeld

Mit Graphen zu leistungsfähigeren Bauelementen (Nr. 17/2022)

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DFG fördert neues Forschungsprojekt mit Bielefelder Beteiligung

Mit Graphen lassen sich elektronische Signale mit extrem hohen Frequenzen energieeffizient verarbeiten. Das Material ist deswegen wichtig für besonders leistungsfähige Bauelemente, die zum Beispiel in Computern oder im Mobilfunk zum Einsatz kommen können. Das Problem: Um mit Graphen solche hochfrequenten Signale zu erzeugen, mussten Physiker*innen bisher auf die Unterstützung riesiger Lasersysteme oder sogar Teilchenbeschleuniger zurückgreifen. Wie sich die Technologie auf winzig kleinen elektronischen Chips realisieren lässt, erforschen Wissenschaftler*innen der Universität Bielefeld, der Bergischen Universität Wuppertal und der Technischen Universität Berlin nun in einem neuen Forschungsprojekt. Das Projekt ist Teil des Schwerpunktprogramms (SPP) Interest, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) von 2022 bis 2028 fördert.

Bild der Person: Prof. Dr. Dmitry Turchinovich, Fakultät für Physik
Prof. Dr. Dmitry Turchinovich erforscht in einem SPP-Teilprojekt, wie sich Frequenzen im Terahertz-Bereich durch die Kombination von Graphen und Halbleiter-Chips erzeugen lassen. Foto: Universität Bielefeld/M.-D. Müller
„Wie mit Graphen Frequenzen im Terahertz-Bereich erzeugt werden können, haben wir schon in vorherigen Studien herausgefunden. Jetzt ist unser Ziel, diese Technologie so weiterzuentwickeln, dass sie in Kombination mit modernen Halbleiter-Chips funktioniert“, sagt Professor Dr. Dmitry Turchinovich von der Fakultät für Physik der Universität Bielefeld. Turchinovich leitet die Arbeitsgruppe Terahertz-Physik. Ein Terahertz sind eine Billion, also 1000 Milliarden, Schaltungen pro Sekunde – ein Frequenzbereich, der technologisch sehr wichtig ist. Mit konventionellen Materialien können Signale im Terahertz-Bereich nur sehr schwer und ineffizient produziert werden. „Die herkömmliche Elektronik gerät hier an ihre Grenzen“, sagt Turchinovich.

Graphen ist in der Lage, Frequenzen zu vervielfachen
Ein vielversprechendes Material ist daher Graphen, das nur aus einer Lage Kohlenstoffatome besteht und dessen Struktur an Maschendraht erinnert. Graphen hat eine Eigenschaft, die Physiker*innen Nichtlinearität nennen: Das Material ist in der Lage, die Frequenzen elektronischer Signale zu vervielfachen – ohne großen Energieverlust. Dass dies bis in den Terahertz-Bereich möglich ist, konnte Turchinovich gemeinsam mit Professor Dr. Michael Gensch von der Technischen Universität Berlin erstmals zeigen. „Mit Graphen lassen sich hohe Frequenzen im sub-Terahertz Bereich in extrem hohe Terahertz-Frequenzen umwandeln. Das hochfrequente Ausgangssignal haben wir bislang in einer Teilchenbeschleuniger-basierten Strahlungsquelle erzeugt. Das verhindert die tatsächliche Anwendbarkeit der Technologie“, sagt Turchinovich.

Im SPP-Teilprojekt Integratech wollen die Wissenschaftler das Ausgangssignal nun lokal erzeugen. Integratech steht für „Integrated graphene-on-chip terahertz technology“ (Integrierte Graphen-auf-Chip Terahertz-Technologie). In dem Projekt arbeiten Turchinovich und Gensch mit Professor Dr. Ullrich Pfeiffer von der Bergischen Universität Wuppertal zusammen. Ebenfalls beteiligt sind Dr. Klaas-Jan Tielrooij vom Katalanischen Institut für Nanowissenschaften und Nanotechnologie in Barcelona (Spanien), der während des Projekts als Mercator-Fellow an der Universität Bielefeld tätig ist, sowie Dr. Hassan A. Hafez Eid von der Arbeitsgruppe Terahertz-Physik. Dmitry Turchinovich koordiniert das Integratech-Projekt.

In dem Projekt greifen die Forschenden auf eine neue Chiptechnologie auf Basis von Halbleitern wie Silizium und Germanium zurück, die sogenannte BiCMOS-Technologie. Diese winzig kleinen Schaltungen können elektrische Felder mit Frequenzen im Bereich mehrerer hundert Gigahertz generieren. „Unsere Idee ist, die Graphen- mit der Halbleitertechnologie zu kombinieren: Die Halbleiterschaltungen erzeugen das Ausgangssignal, dessen Frequenz dann wiederum in Graphen vervielfacht wird“, so Turchinovich. „Indem wir die Frequenzvervielfachung skalierbar machen, kommen wir der tatsächlichen Anwendung ein großes Stück näher.“

Rund 300.000 Euro gehen an die Universität Bielefeld
Integratech ist im Januar 2022 gestartet und läuft bis Ende 2024 mit der Option auf eine Verlängerung um weitere drei Jahre. Das Projekt ist Teil des Schwerpunktprogramms (SPP) Interest, das von der Bergischen Universität Wuppertal koordiniert wird. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert Interest in den ersten drei Jahren zunächst mit 7,2 Millionen Euro. Davon gehen rund 300.000 Euro an die Universität Bielefeld. DFG-Schwerpunktprogramme zeichnen sich durch die überregionale Kooperation der teilnehmenden Wissenschaftler*innen aus.

„Terahertzforschung wurde bislang weitestgehend isoliert in der Materialphysik, der Elektronik oder der Photonik betrieben. Im SPP bringen wir das Wissen aus diesen Disziplinen zusammen“, sagt Turchinovich, der das SPP Interest mitinitiiert hat und im Lenkungsausschuss sitzt. Die Teilprojekte reichen von der Grundlagenforschung bis zur Anwendung, etwa in der Astronomie, in der drahtlosen Hochgeschwindigkeitskommunikation oder zur präzisen Detektion von Tumorgewebe in der Biomedizin. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Erkenntnisse aus verschiedenen Bereichen integrieren: „So versuchen wir, neue und bessere Technologien zu erzeugen“, sagt Turchinovich.

Weitere Informationen:

Kontakt:
Prof. Dr. Dmitry Turchinovich, Universität Bielefeld
Fakultät für Physik
Telefon: 0521 106-5468

Artenschutz: Mit Web-App Daten zu Feuersalamandern sammeln (Nr. 18/2022)

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Neues Projekt mit Bürger*innen-Beteiligung – Workshop am 5. März

In Deutschland ist der Feuersalamander weit verbreitet, gleichzeitig setzt ihm der Klimawandel besonders zu. Damit er besser geschützt werden kann, haben Forschende der Universität Bielefeld nun eine zentrale Datenbank initiiert. Mit der webbasierten Software Amphibian and Reptile Wildbook lassen sich Daten über den Bestand der Tiere zentral erfassen. Das Besondere daran: Bürger*innen können sich an dem Projekt beteiligen und Sichtungen von Feuersalamander selbst eintragen. In einem Workshop am kommenden Samstag, 5. März, erläutern Forschende Interessierten, wie die mobile Software genutzt werden kann. Finanziert wurde die Software durch die Abteilung für Verhaltensökologie der Universität Bielefeld, dem Sonderforschungsbereich NC³ (SFB/TRR 212 – gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft) und der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde.

Prof’in Dr. Barbara Caspers und Laura Schulte, Bild der Personen
Prof’in Dr. Barbara Caspers (li.) leitet die Arbeitsgruppe Verhaltensökologie der Universität Bielefeld. Ihre Doktorandin Laura Schulte (re.) organisiert den Workshop zur Web-App. Foto: Universität Bielefeld/S. Jonek

Feuersalamander fühlen sich am wohlsten in Laubwäldern mit Quellen und stehenden Gewässern. „Ein bedeutender Teil der Weltpopulation lebt in Deutschland, deswegen kommt unserem Land eine besondere Verantwortung zu, diese Population zu erhalten“, sagt Professorin Dr. Barbara Caspers, Leiterin der Arbeitsgruppe Verhaltensökologie in der Fakultät für Biologie der Universität Bielefeld. Das Bundesamt für Naturschutz bezeichnet die Art deswegen als Verantwortungsart. Viele Faktoren gefährden Feuersalamander: Neben der Zerstörung ihres Lebensraums und Krankheiten ist es auch der Klimawandel.

Foto von einem Feuersalamander
Um Feuersalamander besser zu schützen, sammeln Forschende nun über die webbasierte Software Amphibian and Reptile Wildbook Daten zur Population. Foto: Universität Bielefeld/O. Krüger

Zunehmende Wärme lässt Laichplätze verschwinden
Mit ihrer wasserdurchlässigen Haut sind die wechselwarmen Feuersalamander besonders stark von Temperatur und Niederschlag ihrer Umgebung abhängig. „Steigende Temperaturen durch den Klimawandel bedeuten für die Tiere ein höheres Risiko: Ihr Lebensraum und die Laichplätze verschwinden durch heißere Sommer - mit den fehlenden Larven bleibt dann die nächste Generation der Feuersalamander aus“, sagt Laura Schulte, Doktorandin der Arbeitsgruppe Verhaltensökologie. „Der Klimawandel betrifft dadurch Amphibien besonders stark. Um die Tiere effektiv zu schützen, brauchen wir allerdings mehr Daten.“

Foto eines Feuersalamanders und der Web-App
Bürger*innen können Begegnungen mit Feuersalamandern in der Datenbank eintragen und so einen Beitrag zum Artenschutz leisten. Die Algorithmen erkennen einzelne Individuen durch ihre einzigartige Musterung auf dem Rücken. Foto: Universität Bielefeld/S. Jonek

Beteiligung von Bürger*innen
Dazu haben die Forschenden der Universität für den Feuersalamander eine neue Datenbank eingerichtet: Über die Web-App Amphibian and Reptile Wildbook sammeln sie zentral Daten zur Population und machen sie Interessierten zugänglich. Wissenschaftler*innen, Ehrenamtliche aus dem Naturschutz und weitere Bürger*innen können sich mit der App am Artenschutz beteiligen – ein Foto reicht dazu schon aus. „Wenn ich beim Spaziergang einen Feuersalamander sehe, kann ich ein Foto von seinem Rücken machen und es zusammen mit dem Standort in der webbasierten Software über mein Smartphone hochladen, eine Registrierung ist dazu nicht erforderlich“, sagt Laura Schulte.

Deep Learning im Einsatz für Artenschutz
Möglich wird das durch Algorithmen und Deep Learning. „Mit maschinellem Lernen haben wir das Programm trainiert, nicht nur die Art, sondern auch die einzelnen Individuen auf Fotos zu erkennen“, sagt Professorin Dr. Barbara Caspers, Leiterin der Arbeitsgruppe Verhaltensökologie. „Durch die individuelle Musterung auf dem Rücken lassen sich die Tiere wiedererkennen. Da Feuersalamander bis zu 25 Jahre alt werden, können wir die Individuen so über einen langen Zeitraum begleiten. Fotos haben zusätzlich den Vorteil, dass die Tiere nicht gestört oder berührt werden.“ Aus den Daten können die Wissenschaftler*innen langfristig Informationen über das Verbreitungsgebiet, die Wanderrouten und die Anzahl der Tiere ablesen. Insbesondere Naturschutzstationen und Forschungseinrichtungen können so unkompliziert die umfangreichen Daten für Modellierungen der Population und Migration nutzen.

Ein erster Meilenstein
Über die Plattform können momentan Feuersalamander und Gelbbauchunken erfasst und identifiziert werden, langfristig sollen jedoch weitere Arten folgen. „Die Erfassung dieser beiden Arten ist ein erster Meilenstein“, sagt Caspers. „Nach und nach wollen wir nun weitere Arten hinzufügen, wie beispielsweise den Kammmolch oder Zauneidechsen.“ So wollen die Wissenschaftlerinnen den Artenschutz vorantreiben. „Diese zentrale Plattform vernetzt die Erhebungsdaten weltweit. Durch die Hilfe von Bürger*innen hoffen wir auf einen zusätzlich hohen Datensatz, den wir auswerten können. Indem wir Algorithmen nutzen, wollen wir die Forschung und den Artenschutz beschleunigen.“

Kostenloser Workshop zur Software
Die Wissenschaftlerinnen erklären in einem Workshop, wie die verschiedenen Funktionen der webbasierten Software Amphibian and Reptile Wildbook genutzt werden können. Interessierte Bürger*innen können am Samstag, 5. März, per Videokonferenz von 12.00 bis 16.00 Uhr an dem Workshop teilnehmen. Eine Anmeldung vorab ist erforderlich bei: laura.schulte1@uni-bielefeld.de.

Weitere Informationen: 

• Webbasierte Software Amphibian and Reptile Wildbook
Website der Abteilung für Verhaltensökologie
Website des Sonderforschungsbereichs NC³

Kontakt:
Laura Schulte, Universität Bielefeld
Fakultät für Biologie
Telefon: 0521 106-2835 
E-Mail: laura.schulte1@uni-bielefeld.de    


Die Universität Bielefeld trauert um Professor Harald Weinrich (Nr. 19/2022)

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Gründervater der Universität und des Faches „Deutsch als Fremdsprache“ starb mit 94 Jahren

Professor Dr. Dr. h.c. mult. Harald Weinrich war seit 1966 Mitglied im Gründungsausschuss der Universität Bielefeld und von 1972 bis 1974 Direktor des Zentrums für interdisziplinäre Forschung. Am Aufbau der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft in Bielefeld hatte er entscheidenden Anteil. Er etablierte das Fach Deutsch als Fremdsprache (DaF) in Deutschland und übernahm nach seiner Bielefelder Zeit (1969 bis 1978) die erste Professur für DaF an der Ludwig-Maximilians-Universität München.


Professorin Dr. Angelika Epple, Prorektorin für Forschung und Internationales und Vertreterin des Rektors: „Harald Weinrich gehörte als herausragender Linguist und Literaturwissenschaftler zu den großen Gründervätern der Universität Bielefeld. Traditionelle Fächergrenzen hat er selbst als origineller Denker immer mühelos übersprungen und damit auch das interdisziplinäre Profil der Universität maßgeblich mitgeprägt. Ohne seine innovativen Ideen wäre die Bielefelder Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft nicht denkbar. Wir werden uns seiner immer dankbar erinnern.“

Prof. Dr. Dr. hc. mult Harald Weinrich ist am 27. Februar in Münster gestorben. Foto: Universität Bielefeld
Prof. Dr. Dr. hc. mult Harald Weinrich ist am 26. Februar in Münster gestorben. Foto: Universität Bielefeld
Weinrich war Romanist, Linguist und Literaturwissenschaftler – und darüber hinaus Schriftsteller, Essayist und Lyriker. Sein wohl bekanntestes Werk ist die „Textgrammatik der deut-schen Sprache“, zudem war er Initiator des Adalbert-von-Chamisso-Preises für deutschschreibende Autorinnen und Autoren nichtdeutscher Herkunft. 1992 wurde er zum Professor am Pariser Collège de France ernannt, wo er als erster deutscher Wissenschaftler bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1998 lehrte. Forschungsaufenthalte führten ihn in die USA, nach Italien, aber auch an das Wissenschaftskolleg nach Berlin. Er war außerordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft, und Mitglied in der Accademia dei Lincei (Rom) und der Accademia della Crusca in Florenz sowie in Vereinigungen wie dem PEN-Zentrum Deutschland.

Für seine Verdienste um den Aufbau der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft erhielt er die Ehrendoktorwürde der Fakultät, später folgten die gleichnamigen Auszeichnungen der Universitäten Heidelberg, Augsburg, Rom und Madrid. Sein eigenes wissenschaftliches wie literarisches Schaffen wurde mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Europäischen Essay-Preis Charles Veillon für sein Lebenswerk.
 
An der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld wurde 2016 der vom Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD) geförderte Harald Weinrich-Gastlehrstuhl eingerichtet. Renommierte Gastwissenschaftler*innen der Fachbereiche Deutsch als Fremdsprache, Linguistik sowie Literaturwissenschaft aus aller Welt kommen dafür jeweils ein Semester nach Bielefeld.

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